Version 29 / 32 vom 9. Juni 2021 um 9:58:43 von Jürgen Rodeland
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Der folgende Text bezieht sich auf das am 8. Juni 2021 abgeschaltete, alte Wiki, ist aber in weiten Teilen auch noch in der Umgebung des neuen Lepiwiki gültig.

Bezugsraum, Ziele und methodische Probleme

Das Ziel dieser Bestimmungshilfe, alle Stadien aller Lepidopterenarten, die in unserem geographischen Bezugsrahmen vorkommen, abzubilden und mit Texten zur Diagnose und weiteren Informationen (Artbiologie, Taxonomie, Literaturangaben) zu versehen, wirft nicht wenige methodische Probleme auf.

Karte: Public Domain aus der [Perry-Castañeda Library Map Collection] in Austin, Texas (umkoloriert)

Die Schwierigkeiten beginnen mit der Definition des geographischen Bezugsraums. Aus pragmatischen Gründen — weil das Lepiforum mehrheitlich deutschsprachig ist — definieren wir „Mitteleuropa“ als das Gebiet der drei mehrheitlich deutschsprachigen Flächenländer Deutschland, Schweiz und Österreich. Selbstverständlich umfasst Mitteleuropa geographisch gesehen ein größeres Gebiet. Die Abweichungen im Arteninventar eines wie auch immer definierten „geographischen Mitteleuropas“ gegenüber der hier verwendeten, engen Definition sind so gering, dass sie für eine faunistische Betrachtungsweise kaum ins Gewicht fallen. Ohnehin wurde der geographische Bezugsrahmen dieser Bestimmungshilfe im Dezember 2006 auf ganz Europa ausgedehnt, und hiermit ergibt sich schon das nächste Definitionsproblem. Die Artenliste in dieser Bestimmungshilfe basiert auf der Europa-Checklist von Karsholt & Razowski (1996) (genaue bibliographische Daten s. Literaturverzeichnis). Diese Autoren haben Europa eng definiert; so fehlen zum Beispiel die Inselgruppen im Atlantik (Makaronesien), die mittelfristig in die Bestimmungshilfe einbezogen werden sollen. Textergänzung am 4. September 2011: Inzwischen wurden in dieser Bestimmungshilfe viele Seiten für Arten in einem weiter definierten Europa (sensu Fauna Europaea, [https://fauna-eu.org/], also einschließlich Makaronesische Inseln und Zypern) angelegt. Die Arten in Europa sensu Karsholt & Razowski (1996) sind hier daran erkennbar, dass sie eine fünfstellige Nummer ("K&R-Nummer", hier ggf. mit führenden Nullen) tragen. Arten, die in Karsholt & Razowski (1996) noch nicht aufgeführt sind, weil die Angehörigkeit zu ihrem Bezugsrahmen 1996 noch nicht bekannt war, erhalten in dieser Bestimmungshilfe je ein oder zwei den Nummern nachgestellte, kleine Buchstaben bzw. bei den Coleophoridae wegen der Menge der neuen Arten eine mit Bindestrich nachgestellte, dreistellige Zahl.

Europa als Teil des Kontinents Eurasien ist an sich schon ein geographisch und damit auch faunistisch willkürliches Konstrukt. Konsequent wäre die Ausdehnung dieser Bestimmungshilfe auf die Holarktis, doch wäre diese Aufgabe mangels auch nur annähernd vollständiger Artenlisten auf unabsehbare Zeit nicht einmal im Ansatz lösbar. Nachtrag am 4. September 2011: Inzwischen wurden Seiten für einige Arten, die nicht in Europa sensu Fauna Europaea ([http://fauna.naturkundemuseum-berlin.de]) vorkommen, angelegt. Diese Seiten sind mit "Außereuropäische Art" gekennzeichtet und tragen das Signet .

Das zweite Problemfeld bei der Erstellung von Artenlisten ist, dass der Untersuchungsgegenstand, eben die Lepidoptera-Arten und ihr Vorkommen in Mitteleuropa oder ganz Europa, nicht statisch ist, und dies gleich in mehrerer Hinsicht: Arten können verschleppt werden oder sich ausbreiten (Neozoen und Arealerweiterer), sogar im gut erforschten Mitteleuropa sind mit Sicherheit einige (Micro-)Lepidopterenarten noch gar nicht beschrieben, und noch höher als die Zahl der unbeschriebenen Taxa dürfte die Zahl der Arten sein, die im geographischen Bezugsrahmen vorkommen, aber bisher dort übersehen wurden. Problematisch ist auch, dass die Taxonomie der Lepidoptera im Fluss ist, einem Fluss, der wohl nie völlig zum Stillstand kommen wird.

Ein drittes methodisches Problem hat mit dem weit verbreiteten Irrtum zu tun, dass einmal Publiziertes von da an der Menschheit bekannt ist und jederzeit mühelos aus Bibliotheksregalen gezogen werden kann, oder seit Bestehen des Internets sogar ganz bequem aus Online-Datenbanken. Das Gegenteil ist der Fall! Literaturrecherche bleibt mühsam, auch im digitalen Zeitalter, in dem Information scheinbar uneingeschränkt verfügbar ist. Es ist nicht auszuschließen, dass Karsholt & Razowski (1996) trotz ihres generalstabsmäßigen Ansatzes, einen Berg von Literatur für ihre Europa-Checklist ausgewertet und unzählige andere Experten konsultiert zu haben, relevante Publikationen übersahen. Umso mehr gilt dies für die Redaktion des Lepiforums: Sie ist personell nicht einmal dazu in der Lage, alle Neupublikationen seit 1996 (Neubeschreibungen, Erstnachweise, Synonymisierungen u.v.m.) zu sichten, sondern kann im Wesentlichen nur das verarbeiten, was ihr durch freundliche Mitteilungen zugetragen wird. Als Werkzeug zum Finden neuester Literatur haben wir eine Seite mit Weblinks zu internationalen Zeitschriften und Buchreihen eingerichtet.

Das vierte Problem, aber auch eine besondere Chance, liegt im Wesen einer Internetpublikation im Vergleich zu herkömmlichen Druckwerken. Wissenschaftliche Bücher und Zeitschriftenaufsätze enthalten meist einen zum Zeitpunkt der Publikation abgeschlossenen Forschungsstand, oder sie referieren wenigstens einen erreichten Meilenstein in der Forschung oder eine Arbeitshypothese, und früher oder später sind sie — zumindest in Teilen — überholt. Die Bestimmungshilfe des Lepiforums ist im Gegensatz dazu ein "work in progress", in dem auch lückenhafte Informationen publizierbar sind, weil die Ausfüllung der Lücken zumindest nicht auf technische Probleme stößt. Diese Lücken können vielfältige Gründe haben: Die Redaktion hat den Stapel der ihr aktuell vorliegenden Informationen noch nicht abgearbeitet, ihr fehlt die Kenntnis relevanter Informationen, keiner der vielen im Lepiforum aktiv beteiligten Personen ist eine noch nicht bebilderte Art oder ein nicht bebildertes Entwicklungsstadium vorgekommen, und nicht zuletzt: Die Präimaginalstadien von nicht wenigen Arten sind überhaupt noch unbekannt; man wird auch in keiner gedruckten Publikation Informationen dazu finden. Ein Vorteil der Online-Publikation ist die Möglichkeit, Fehler schnell korrigieren zu können, während die Fehlerkorrektur bei Druckwerken mit eingelegten Errata-Zetteln, später publizierten Supplementen sowie Korrekturen in anderen Publikationen durch andere Autoren für einen Leser, der immer auf aktuellstem Kenntnisstand sein möchte, nur mühsam mitverfolgbar ist. Die Schwäche von vielen Internetpublikationen liegt in der oft nicht dauerhaft gegebenen Zitierbarkeit, weil Dateinamen und Adressen von Internetseiten geändert werden können, und in dem noch nicht befriedigend gelösten Problem, digitale Daten ebenso dauerhaft wie Druckwerke (also für Jahrhunderte und mehr) zu archivieren, weil heute noch niemand weiß, welche Datenträger physikalisch stabil sind und welche Software auch in Rechnersystemen der Zukunft verarbeitbar oder zumindest kompilierbar ist. Die Redaktion des Lepiforums hält sich an das Prinzip stabiler Dateinamen/Internetadressen, um wenigstens die Zitierbarkeit zu gewährleisten; dies gilt für die Bestimmungshilfe und auch für alle Forumsbeiträge. Bei Zitaten aus der Bestimmungshilfe ist es sinnvoll, die genaue Zugriffszeit anzugeben, weil ältere Textversionen von der Wiki-Software archiviert werden und somit auch Änderungen nachvollziehbar sind.

Zum Zeitpunkt, an dem diese Einführung online gestellt wird (21. April 2007), steht die Einarbeitung von Diagnosetexten erst ganz am Anfang, ebenso die Kennzeichnung, welche Arten habituell und nach guten Lebendfotos determinierbar sind und welche nicht. Auch die für die Diagnose unverzichtbare, konsequente Einarbeitung von Bildern gespannter Falter ist ein noch nicht eingelöstes Versprechen. Für die Umsetzung dieser Teilarbeit wird es entscheidend sein, dass dem Lepiforum e.V. möglichst einheitlich fotografierte Bilder gespannter Falter zur Verfügung gestellt werden.

Angestrebt ist nicht nur eine möglichst vollständige Bebilderung und Betextung mit Diagnosehinweisen, sondern auch Fortschritte in der Kenntnis der Biologie der Arten (Raupennahrung, Phänologie usw.). Die Bestimmungshilfe ist somit weniger als reine Zusammenfassung und Sammlung der Artenkenntnis von Lepidoptera zu verstehen, sondern vielmehr als eigenständiges Forschungsprojekt, an dem sich immer mehr Fachleute und engagierte Hobby-Entomologen beteiligen mit dem Ziel, immer mehr Interessenten hierfür zu gewinnen. Selbst absolute Anfänger haben schon interessante Mosaiksteinchen beigesteuert.

1. Fotodokumentation und Artbestimmungen

In wissenschaftlich betriebener Lepidopterologie ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die Belegexemplare (genadelte und gespannte Falter, präparierte Raupen etc.) mit Fundzetteln versehen werden, die alle relevanten Informationen enthalten, und zwar mindestens:

  • den genauen Fundort und das taggenaue Datum der Entnahme aus der Natur (Schlupfdaten von gezüchteten Faltern sind viel weniger relevant, Schlupforte von Zuchtfaltern sind völlig irrelevant),
  • den Namen des Finders,
  • den wissenschaftlicher Namen der jeweiligen Art und den Namen des Determinators (Bestimmers).

Ob ein Falter genitaluntersucht wurde, ergibt sich bei einem Sammlungsexemplar trivialerweise daraus, dass der Hinterleib fehlt und ein Genitalpräparat auf derselben Nadel steckt.

Die Redaktion des Lepiforums strebt an, dass diese Mindestangaben auch bei jedem Foto in der Bestimmungshilfe stehen. Unvollständig dokumentierte Tiere werden zwar auch abgebildet, aber nach Möglichkeit später durch Fotos von vollständig dokumentierten ersetzt. Die Funddaten in der Bestimmungshilfe sind häufig etwas redundant formuliert, und zwar im Interesse der Verständlichkeit für Anfänger. Der Platz zum Schreiben ist nicht — wie auf einem Fundzettel — limitiert.

Bei den Fotos von Peter Buchner, die prozentual einen sehr großen Anteil ausmachen, stecken über die in den Bildlegenden gegebenen Informationen hinaus weitere Daten in den Bilddateinamen, zum Beispiel ob das lebend fotografierte Exemplar belegt und genitaluntersucht wurde, siehe Datenstruktur der Fotodateinamen von Peter Buchner.

Die möglichst detaillierte Dokumentation der (Fund-/Zucht-)Daten in der Bestimmungshilfe hat auch den Sinn, dass für den Benutzer nachvollziehbar ist, auf welcher Grundlage die Artbestimmung beruht: Wurde eine Raupe zum Falter durchgezüchtet? Ist ein habituell schwierig oder überhaupt nicht determinierbarer Falter genitaluntersucht? Wer hat das Tier bestimmt oder die Bestimmung bestätigt? Wo wurde im Bestimmungsforum darüber diskutiert?

Die Absicht, alles möglichst genau zu dokumentieren, äußert sich auch in der Angabe, ob ein Foto eine Freilandaufnahme (unmanipuliert!), eine manipulierte Freilandaufnahme oder eine unter Studiobedingungen entstandene Abbildung ist. Wo diese Angaben nicht ausdrücklich vom Fotografen mitgeteilt oder bestätigt wurden, steht lediglich „Foto: Monika Mustermann“.

2. Fehlerquote der Artbestimmungen

Bei den Makrolepidoptera dürfte die Fehlerquote gering sein, weil die Bestimmungen von nicht wenigen Kennern zwar nicht systematisch, aber doch auf breiter Basis kontrolliert werden. Die Zahl der regelmäßig mitarbeitenden Microlepidoptera-Kenner bewegt sich indessen derzeit (April 2007) noch im einstelligen Bereich, so dass hier mit einer geringfügig höheren Fehlerquote zu rechnen ist. In die Bestimmungshilfe werden auch hier nur „sicher“ bestimmte Exemplare aufgenommen — Irrtum trotz gewissenhaften Arbeitens nicht völlig ausgeschlossen.

Entsprechendes gilt für Arten, die in Mitteleuropa nicht vorkommen: Je „exotischer“ aus mitteleuropäischer Perspektive das Fundgebiet ist, desto weniger wurden die Artbestimmungen kritisch gegengelesen!

3. Fazit

Die Benutzer der Bestimmungshilfe werden gebeten, die hier geschilderten Probleme und Zusammenhänge zu bedenken, damit jeder ein Optimum an Information für sich herausziehen kann, und damit die Bestimmungshilfe weiterhin in kritisch hinterfragter Qualität wächst.

Auch Methodisches unterliegt der Weiterentwicklung und Veränderung. Das [Forum 2] ist hierfür eine geeignete Diskussionsplattform.

(Autor: Jürgen Rodeland)

Bestimmungshilfe / Bezugsraum, Ziele und methodische Probleme