Settele, J., R. Steiner, R. Reinhardt & R. Feldmann (2005): Schmetterlinge. Die Tagfalter Deutschlands. – 256 S.; Stuttgart (Ulmer-Verlag).

Besprechung von Erwin Rennwald

Auf dem Buchrücken dieses im April 2005 erschienenen Ulmer Naturführers ist zu lesen: „... Dieser umfassende Naturführer zeigt alle heimischen außeralpinen Tagfalterarten. Jede Art wird im Portraitteil mit zwei bis drei brillanten Farbfotos der am häufigsten zu findenden Stadien vorgestellt. Das erfahrene Autorenteam liefert aktuelle Informationen zu Merkmalen, Biologie und Schutz. Dank der Verbreitungskarten und der übersichtlichen Grafiken zum Lebenszyklus erfahren Sie auf einen Blick, wo und wann jede Art zu finden ist. Extra: Der Tafelteil ist eine Besonderheit – alle Falter im direkten Vergleich! Fotos von Ober- und Unterseite jeder Art mit eindeutig herausgestellten Unterscheidungsmerkmalen machen das sichere Bestimmen möglich.

Wieder ein Buch über Schmetterlinge, und wieder über die doch bestens bekannten Tagfalter. Haben denn nicht drei der vier Verfasser erst 1999 einen Band über die Tagfalter Deutschlands herausgebracht (siehe SETTELE et al. 1999)? Im Vorwort wird begründet, warum man sich zur Publikation dieses Bandes entschloss: „Es gibt drei gute Gründe, warum nun dieser Naturführer hinzukommt: Aktueller Anlass ist der Start einer gemeinsamen Aktion von UFZ-Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle, ZDF und BUND e.V. zum Schutz der Schmetterlinge Deutschlands (im Internet unter www.abenteuer-schmetterling.de). Diese bundesweite Kampagne will für das Tagfalter-Monitoring werben: es ist eine interessante und einfache Möglichkeit für jedermann, sich auf wissenschaftlicher Basis mit Schmetterlingen zu beschäftigen und letztendlich erheblich zu ihrem Schutz beizutragen. Zweitens sollen hier die bewährten Farbtafeln aus dem Buch „Die Tagfalter Deutschlands“ in einer kompakten, „Freiland-freundlichen“ Form nutzbar gemacht werden. Und schließlich möchten wir die Aufmerksamkeit von Schmetterlingsfreunden stärker auf die oben erwähnte Suche nach Eiern und Raupen lenken: viele Arten bekommt man als erwachsene Falter kaum zu Gesicht, sie lassen sich jedoch häufig in Form von Ei oder Raupe finden und daher so einfacher nachweisen.

Erfüllt das Buch, oder eigentlich – im Vergleich zu einigen sonstigen Monumentalwerken – das Büchlein, die Erwartungen?

  • „Freiland-Freundlichkeit“: das Buch ist leicht, passt (leicht gequetscht), sogar in die Hosentasche der Jeans. Es sieht einigermaßen stabil aus und dürfte zumindest das erste Geländejahr überstehen.
  • Sichere Bestimmbarkeit: die Kombination von Farbfotos von Ober- und Unterseite im Text zu den Arten und zusammenfassend auf Tafeln dürfte da, wo es überhaupt geht, zur sicheren Bestimmung beitragen. Pfeile und andere Hinweise auf wichtige Merkmale sind hier sehr wertvoll. Die Texte zu den Arten sind hier aber so kurz, dass unmöglich alle relevanten Merkmale aufgelistet werden können, schon gar nicht die Variabilität der Arten beschrieben werden kann. Das wissen die Autoren natürlich selbst: „Bei einigen Arten ist das Risiko einer Verwechslung sehr hoch; hier wird stets empfohlen, einen Experten zu befragen. In vielen Fällen kann es ausreichen, den Experten Fotos zu senden. Dabei sollte man möglichst mehrere Fotos anfertigen, da sich die Bestimmungsmerkmale sowohl auf den Ober- als auch den Unterseiten der Flügel befinden können. Für schwer bestimmbare Arten ist der männliche Genitalapparat oft ein wertvolles Unterscheidungsmerkmal ... In solchen und einigen weiteren Fällen ist zur eindeutigen Bestimmung die Entnahme von Belegexemplaren unumgänglich“. Bei den Texten zu den bestimmungskritischen Arten wird fast stets auf die Problematik hingewiesen. Mehr kann man von einem dünnen Feldführer nicht erwarten.
  • Mit zur Bestimmungssicherheit beitragen können auch die Verbreitungskarten (Vorkommen in den Bundesländern) und die Phänogramme zu jeder Art.
  • Vollständigkeit der Arten: Es werden tatsächlich alle Tagfalter-Arten des außeralpinen Deutschlands abgebildet und besprochen. Fehlbestimmungen wegen Lücken kann es hier also eigentlich nicht geben – es sei denn, man trifft einen der extrem seltenen Einwanderer oder Irrgäste an. Die Auslassung der 44 rein alpin verbreiteten Arten ist gerechtfertigt – sie betreffen nur einen sehr kleinen Teil Deutschlands und würden ansonsten mehr zur Verwirrung beitragen als nutzen.
  • Präimaginalstadien: es werden tatsächlich zumeist die am häufigsten gefundenen Präimaginalstadien gezeigt, aber natürlich kann man mit diesem Büchlein nicht die Suche nach diesen lernen. Da sind „der WEIDEMANN“ besser, oder die dicken Schinken aus Baden-Württemberg oder der Schweiz. Aber immerhin wird ein Blick darauf gelenkt, dass die Präimaginalstadien überhaupt zum Lebenszyklus jeder Art gehören. Und was man so zufällig findet, wird man auch ansprechen können.

Kleine Nützlichkeiten sind Minitabellen mit der Übersicht zur Gefährdung der jeweiligen Art in den Bundesländern und eine abschließende Tabelle mit den wichtigsten Raupenfraßpflanzen und den zugehörigen Falter-Arten.

Die Nomenklatur entspricht weitestgehend der von SETTELE et al. (1999) und damit der derzeit in Europa gängigen. Die einzige Abweichung ist erfreulich: sie betrifft die Ameisenbläulinge, die jetzt wieder Maculinea heißen dürfen, nachdem sich bei genetischen Untersuchungen herausgestellt hat, dass ihre zwischendurch vorgenommene Zuordnung zur Gattung Glaucopsyche nicht haltbar ist.

Fazit: wer am Tagfalter-Monitoring Deutschland teilnimmt (und das sollten mindestens 1000 Leute sein) und weniger als 120 einheimische Tagfalter-Arten beherrscht, ist gut beraten, wenn er dieses Buch auf jeder Exkursion dabei hat. Und wenn es dann nach einer Saison doch ramponiert ist, haben sich die 15 € auf jeden Fall gelohnt. Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt hier auf jeden Fall (auch wenn der Kilopreis etwas höher ist als beim Werk über die Schmetterlinge Baden-Württembergs des selben Verlags). Und wer nicht am Tagfalter-Monitoring teilnimmt? Das Buch richtet sich ausdrücklich an „Einsteiger und Fortgeschrittene“ – nach meiner Einschätzung völlig zurecht: der Fortgeschrittene braucht sich nicht genieren, wenn er im Gelände dieses Büchlein aus der Tasche zieht, um nochmals nach den Unterscheidungsmerkmalen von Melitaea athalia und M. aurelia oder Pyrgus alveus und P. cirsii zu schauen; und der Einsteiger – auch der, der noch kein Dutzend Tagfalter-Arten kennt (!) – hat endlich ein Buch, in dem er alle Arten rasch findet und das Wesentliche über sie erfährt. Also: kaufen, einpacken und immer dabeihaben (und vielleicht auch mal noch verschenken).