Langmaid, J. R., Palmer, S. M. & M. R. Young (2018): A Field Guide to the Smaller Moths of Great Britain and Ireland. – 389 S.; The British Entomological and Natural History Society. ISBN 978-1-899935-08-6

Besprechung von Tina Schulz (8. Februar 2020)

Arthur Maitland Emmet – Kleinschmetterlingsfreunden dürfte dieser Name zumindest ein Begriff sein. In seinem langen Leben hat er ein beeindruckendes Vermächtnis über diese Gruppe hinterlassen, unter anderem „A Field Guide to the Smaller British Lepidoptera“. Jenes Werk bildete die Grundlage für das vorliegende Buch, wie die Autoren zu Beginn respektvoll formulieren: „To the memory of A. Maitland Emmet whose earlier editions of „A Field Guide to the Smaller British Lepidoptera“ are the inspiring foundation upon which this work has been based.“

Es ist eine englischsprachige Gemeinschaftsarbeit mit gut bekannten Namen, die sich, wie ich vorwegnehmen möchte, voll und ganz sehen lassen kann. Der Schwerpunkt wird klar auf die Präimaginalstadien der Kleinschmetterlinge gelegt. Neben anderen in den letzten Jahren publizierten Werken über „Microlepidoptera“ füllt dieses Buch eine Lücke, weil die Biologie aller in Großbritannien und Irland reproduzierenden Arten behandelt wird – ohne Ausnahmen. Und auch wenn wir Mitteleuropäer daher so manche heimische Spezies vermissen werden, so ist dies vielleicht die nahezu aktuellste (und kostengünstigste) Abhandlung über die Lebensweise britischer Kleinschmetterlinge in einem Band, die es momentan gibt – ist allein das nicht Grund genug für die Anschaffung?

Aber tauchen wir nun ab in die Details meiner Begeisterung. Die Schmetterlingsfamilien sind nach neuen taxonomischen Erkenntnissen geordnet, und jede Art hat eine eigene checklist number (übernommen von Agassiz, Beavan & Heckford 2013). Zu den Spezies gibt es detaillierte und doch kompakte Zusammenfassungen des bekannten Lebenszyklus‘ nach folgendem Schema:

Nummer, Artname, Autor

O – Phänologie – Ablageverhalten, Wirtspflanze (zum Beispiel: Ablageort, Aussehen des Eies, Entwicklungszeit des Eies [auch ggf. Viviparie])

L – Phänologie – Lebensweise der Raupe (z.B.: Befallsbild, Aussehen der Raupe, Vergleich mit ähnlichen Arten, Überwinterungsort und Alter, Suchtipps; auf Zuchtbeobachtungen wird hingewiesen)

P – Phänologie – Verpuppungsverhalten (z.B.: Verpuppungsort, Struktur und Farbe des Kokons, Aussehen der Puppe, Schlupfverhalten)

I – Phänologie – Lebensweise der Imago (z.B.: Schlupfzeit, Aktivitätszeit, Ruheort, Störungsempfindlichkeit bei Tage, nächtliche Lichtaffinität [ggf. geschlechtsspezifisch], Köderattraktivität, Anflug an Pheromonpräparate, Fortpflanzungsform [z.B. Parthenogenese], Biotoptyp, bevorzugte Höhenlage, Zuchttipps)

Zu jedem Stadium wird das Auftreten im Jahresverlauf in Monatsziffern angegeben. Dadurch ist auch auf einen Blick erfassbar, welches Stadium überwintert (Beispiel Cochylidia hybridella: L. 9-4 = Raupe von September bis April) – und diese Info ist vor allem für den Züchter interessant. Pro Seite können auf diese Weise circa fünf Arten behandelt werden – und trotz der knapp 400 Seiten, die dieses Buch umfasst, ist es keine zwei Zentimeter dick! Zusammen mit der praktischen Schutzhülle verdient die 21 cm x 15 cm messende und 668 g wiegende Softcover-Bindung den Titel „Feldführer“ auf jeden Fall.

Bei den Nahrungspflanzen wird Wert auf britische Angaben gelegt. Kenntnisse vom Kontinent (jeweils mit * markiert) werden verwendet, wenn es aus Großbritannien keine oder nur dürftige eigene Beobachtungen gibt. Dadurch sind die Wirtspflanzenlisten nicht vollständig übertragbar auf unsere Region. Beispielsweise wird für den Wickler Eudemis porphyrana "Malus, especially Malus sylvestris" genannt – wer unsere Bestimmungshilfe konsultiert, sieht: wir haben Apfel gar nicht dokumentiert, aber dafür Prunus padus (Traubenkirsche). Eine komplette Liste bei jeder Art wird auch nicht angestrebt, das würde den Rahmen sprengen, gerade bei polyphagen Arten. Bei jenen Schmetterlingen, die viele Vertreter einer Pflanzenfamilie nutzen, werden die Familie und die meistgenutzten Arten oder Gattungen genannt. Übrigens: der britische „Spleen“ der Kultivierung ihrer Trivialnamen dürfte Vielen bekannt sein. (Für den „Field Guide to the Micro Moths of Great Britain and Ireland“ habe ich mir eine Tabelle mit allen Pflanzennamen und dazugehörigen wissenschaftlichen Namen erstellt, weil ich bei Worten wie „Smooth Hawk‘s-beard“, „Yorkshire-fog“ oder „Marsh-mallow“ auch mit viel Fantasie nie bei den richtigen Pflanzen landete.) Die Überraschung: in dem vorliegenden Buch werden die wissenschaftlichen Pflanzenbezeichnungen verwendet! Das ist eine große Erleichterung für uns Deutschsprachige. Britain goes international! (Für diejenigen, die mit den englischen Begriffen vertrauter sind, wurde mit einem Trivialnamenindex ebenfalls gesorgt.)

Nun komme ich also zum foodplant index, eigentlich „Substratindex“, da (lebende) Pflanzen nicht die alleinige Nahrungsquelle für Raupen sind, sondern auch Pilze, Flechten, Totholz, organischer Detritus, menschliche Lebensmittel, Pelze, Federn, Vogel- und Wespennester und so weiter. Dieser Index bietet schnelle Hilfe beim Auffinden einer Schmetterlingsart im Feld, wenn das Substrat bekannt ist. (Dafür sollte der Leser über grundlegende Kenntnisse heimischer Pflanzenarten verfügen – oder über einen Bestimmungsschlüssel wenigstens bis zur Gattung.) Ein Pluspunkt ist auch, dass auf einen Blick erkennbar ist, wie viele Arten am jeweiligen Substrat vorkommen, denn es werden nicht die Artnamen ausgeschrieben, sondern lediglich ihre checklist number. So versteht auch ein Neuling schnell, dass zum Beispiel Eichen, Weiden, Birken, Weißdorn und Apfel wichtige Nahrungspflanzen für Kleinschmetterlinge darstellen, da sie eine Fülle von Arten beherbergen können. Neben der Anregung, die Fauna bestimmter Pflanzenarten zu erforschen, kann dieser Index auch eine Inspiration zur Grundstücksbepflanzung sein – und wenn es nur ein Balkon ist.

Als weitere Besonderheit müssen die thumbnail maps, also kleine 2 x 2,5 cm-Verbreitungskarten für Großbritannien genannt werden, die bei jeder Art abgebildet sind.

Längen- und Größenangaben sind in Millimeter oder Zentimeter angegeben - nicht in Zoll, wie man vielleicht befürchten könnte.

Ebenfalls positiv hervorzuheben sind die verschiedenen diagnostischen Texte zu bestimmten Familien oder Gattungen. Auch auf neue, noch im Fluss befindliche Forschungen wird eingegangen, etwa die Aufspaltung des Stigmella salicis-Komplexes oder Synonymisierungen in der Stigmella aurella-Gruppe. Zu vielen Arten gibt es außerdem einschlägige Literaturverweise.

Zu meckern gibt es an diesem Buch nicht viel. Dass nicht alle mitteleuropäischen Arten vorhanden sind, erwähnte ich bereits, ist aber auf das behandelte Gebiet bezogen logisch. Die nicht vollständigen Wirtspflanzenangaben kann man als wertvolle Ergänzung zu kontinentaleuropäischen Daten betrachten. Der eigentlich einzige Wermutstropfen für mich ist, dass zu jeder Schmetterlingsgattung der Gattungsname nur einmal – bei der ersten Art – ausgeschrieben wird; im Folgenden wird er mit dem Anfangsbuchstaben abgekürzt. Bei artenreichen Gattungen wie z. B. Elachista oder Coleophora, deren Vertreter sich über mehrere bis viele Seiten erstrecken, wird es vor allem für Einsteiger störend sein, jedes Mal zur ersten Art der Gattung zurückzublättern, um zu wissen, wo man sich gerade im Buch befindet. Diese Platzeinsparung wäre meines Erachtens nicht nötig gewesen.

Dass dieses Werk kein Fotobestimmungsbuch ist, muss auch betont werden. Wer in diesem Buch nach Bildern sucht, wird – abgesehen vom Cover – nicht fündig werden. Das ist sicher auch ein Grund für die praktische Kompaktheit des Buches. Aus meiner Sicht ist dies aber kein echter Mangel. Es gibt in der heutigen Zeit viele gute Fotos im Internet, die einfach und schnell zugänglich sind – bei Bedarf auch mit dem Smartphone draußen im Feld. Außerdem sind die Beschreibungen der Befallsbilder hier im Buch meist so detailliert, dass oft eine gute Vorsortierung möglich sein wird. Dass nicht selten ohnehin eine Unsicherheit verbleibt, die man durch die Zucht zum Falter ausräumen kann, ist Kleinschmetterlingszüchtern bekannt und das betonen auch die Autoren: „It is also often important to rear the larvae, so that the adults can be studied and the identity confirmed and this is actually quite easy for most micro-moths“.

Alle Beobachtungen zusammen – Phänologie, Nahrungspflanze, Lebensweise, Habitus von Raupe/Puppe/Falter – reichen meistens aus für eine Artbestimmung, und nur in vergleichsweise wenigen Fällen muss der Falter anschließend noch „unters Messer“. Dass der letzte Punkt vermieden werden kann, dürfte gerade heutzutage vielen Hobby-Entomologen, die vor einer Tötung zurückscheuen, entgegenkommen. Die Belegnahme ist für die neue Generation von Naturbeobachtern eine vermeidenswerte Methode, die auf viele Interessierte abschreckend wirkt. Dieser Gedanke – Warum das töten, was man liebt? - ist immerhin verständlich, und angesichts der immer detaillierteren Kenntnisse über die Biologie der Arten, sowie beeindruckender Fotoauflösungen, sind bei vielen Funden sichere Bestimmungen möglich.

Dieses großartige Buch bietet daher eine sehr gute Hilfe für (botanisch bewanderte) Kleinschmetterlingsfreunde, die sich der präimaginalen Lebensweise ihrer Lieblinge nähern wollen und durch Beobachtung und Zucht ein ganzheitliches Bild der Arten erhalten möchten.