Hofmann, Axel, F. & W. Gerald Tremewan (2020): The Natural History of Burnet Moths (Zygaena Fabricius, 1775) (Lepidoptera: Zygaenidae), Part 3.1 - Proceedings of the Museum Witt Munich 6 (3.1): i-xxvi, 1-508, Munich. Part 3.2. - Proceedings of the Museum Witt Munich 6 (3.2): 509-1097, Munich. ISBN 978-3-940732-43-9 und 978-3-940732-44-6. Preis: 285 € (Teilbände sind für je 150 € zu bekommen).

Besprechung von Erwin Rennwald (23. August 2022)

Im Oktober 2020 war es tatsächlich soweit. Nach dem Erscheinen von Band 1 im Jahr 2017 erschien jetzt schon Band 3 (Band 2 soll bald folgen) des Monumentalwerks „The Natural History of Burnet Moths“ von Axel F. Hofmann und dem leider schon kurz vor Erscheinen von Band 1 verstorbenen W. Gerald („Gerry“) Tremewan.

Nein, er hat nicht die zunächst anvisierten ca. 600 Seiten, sondern rund 1100 großformatige (DIN A4) Seiten – und deshalb ist es auch kein Einzelband, sondern ein schwergewichtiger Doppelband. Mich überraschte das nicht, denn 183 Farbtafeln mit über 5700 gespannten Faltern in Über-Lebensgröße erstklassiger Bildqualität brauchen einfach ihren Platz, 5622 weitere (bis auf ganz wenige Ausnahmen, s.u.) hochklassige Farbfotos von Lebendfaltern, allen Präimaginalstadien und Habitatfotos beanspruchen auch ein bisschen Raum, ebenso die 323 Verbreitungskarten. Die 600 Seiten wären schon ohne Text gefüllt gewesen, aber die Autoren bieten ja auch noch reichlich wertvollen Text, zu dem die Bebilderung eigentlich nur das schmückende und veranschaulichende Beiwerk darstellt.

In Band 3 geht es um die Arten selbst, also ihre Verbreitung, Biologie und leider oft auch Gefährdung. Die „life history“ vom Ei bis zum Falter nimmt bei den meisten Arten den größten Raum ein – was nicht wundert, haben die Autoren doch beinahe alle Arten in ihren verschiedenen Lebensräumen aufgesucht, die Präimaginalstadien vor Ort studiert und die Arten zuhause durchgezüchtet. Und weil die Verbreitung nicht einfach pauschal textlich abgehandelt, sondern detailliert besprochen und in jeweils mehreren Verbreitungskarten dargestellt wird, benötigt auch dieser Abschnitt breiten Raum. Die Kapitel zu den 108 Arten reichen von S. 8 – 477 und von S. 514 – 995, umfassen (ohne Index, Literaturverzeichnis und Spezialkapitel) also 470+482 = 952 Seiten – oder umgerechnet fast 9 großformatige Seiten pro Art.

Bekanntlich ist – in Bezug auf Schmetterlinge – das Lepiforum mittlerweile der Maßstab aller Dinge. Also wagen wir den Vergleich.

Zygaena-Arten sind tagaktiv und sehr beliebte Foto- und Sammlungsobjekte. Die meisten Zygaenen-Raupen sind (wenn man schon ältere Raupen findet) nicht allzu schwer zu züchten, und viele Raupen sind auch bis auf Artebene ansprechbar. Da die Raupen und besonders die Falter fast aller Arten bezüglich ihrer Zeichnung und Färbung recht variabel sind, ist zu erwarten, dass das Lepiwiki (die Bestimmungshilfe des Lepiforum) nur so von Bildern strotzt. Und tatsächlich: von den 36 in Europa im engeren Sinne vertretenen Zygaena-Arten finden sich (Stand 22. August 2022) nicht weniger als 1.175 Fotos von Lebendfaltern, Präimaginalstadien, Sammlungsfaltern, Genitalien und Habitaten, im Schnitt fast 33 pro Art. Und tatsächlich bietet Lepiforum zu allen 36 Arten wenigstens ein einziges Falterfoto. Lepiforum kann sich also sehen lassen!

Aber dann kommen die Schwachpunkte: bei Zygaena ignifera hat das Lepiwiki kein Lebendfoto und bei Z. centaureae, Z. sarpedon, Z. contaminei, Z. hilaris, Z. occitanica, Z. ignifera, Z. nevadensis und Z. romeo gibt es kein einziges Raupenfoto. Nimmt man die 4 Nordkaukasus-Arten zu Europa dazu, hat Lepiforum einmal ein Lebendfoto, bei den anderen Arten immerhin ein Diagnosefoto zu bieten – aber bei keiner einzigen ein Raupenfoto.

Die Gattung Zygaena ist auf die Palaearktis beschränkt. Von den insgesamt 108 Arten gibt es am 22. August 2022 für 40 noch gar keine Artseiten im Lepiforum. Von den 28 Arten außerhalb Europas i.w.S., für die es im Lepiforum Artseiten gibt, sind nur 23 überhaupt irgendwie bebildert, nur 12 davon mit wenigstens einem Lebendfoto, bescheidene 3 auch mit einem Raupenfoto. In der Summe heißt das für das Lepiwiki: dargestellte Arten 68 von 108, bebilderte Arten: 63 von 108, Diagnosefotos: 56 von 108 Arten, Habitatfotos: 38 von 108 Arten, Lebendfalter: 48 von 108 Arten, Raupenfotos: 31 von 108 Arten. Für sich genommen schon Grund, ein bisschen stolz zu sein.

Daneben jetzt die nüchternen Zahlen im Doppelband von Hofmann & Tremewan (2020): dargestellte Arten: 108 von 108 weltweit bekannten, bebilderte Arten: 108 von 108, Diagnosefotos: 108 von 108 Arten, Habitatfotos: 107 von 108 Arten (es fehlt Z. halima), Lebendfalter: 106 von 108 Arten (es fehlen Z. halima und Z. ferganae), Raupenfotos: 103 von 108 Arten (es fehlen Z. halima, Z. ferganae, Z. storaiae, Z. tenhagenova und Z. bakhtiyari), Ei-Fotos: 100 von 108 Arten (es fehlen Z. halima, Z. manlia, Z. rubicundus, Z. tremewani, Z. ferganae, Z. storaiae, Z. theryi und Z. problematica), Kokonfotos: 102 von 108 Arten (es fehlen Z. halima, Z. wyatti, Z. storaiae, Z. ferganae, Z. tenhagenova und Z. theryi). – Wenn Lepiforum der Maßstab ist, erreicht die Publikation hinsichtlich der Bebilderung also ganz klar den Goldstandard. Da hat das Lepiforum noch vieles, vieles nachzuholen!

Aber was ist mit den genannten Lücken im Buch ? Der kürzeste Text im Doppelband ist der zu Zygaena halima. Von der Art werden der Holotypus aus dem Bergland im Osten von Kabul (Afghanistan) und zwei Falter aus "Ismalabad" [gemäß Originaletikett – gemeint war wohl Islamabad in Pakistan] als Diagnosefalter vorgestellt – weitere Exemplare sind weltweit nicht bekannt. Da wahrscheinlich beide Etiketten-Fundorte falsch sind, war es den Autoren nicht möglich, die Art wiederzufinden, obwohl sie selbstverständlich vor Ort danach gesucht haben. Über die Präimaginalstadien weiß niemand irgendetwas – also kann es auch keine Fotos geben.

Der Text zu Zygaena ferganae fällt ebenfalls sehr knapp aus - und hier gibt es zu den Diagnosefaltern weder Habitatfotos, noch Lebendfalter oder Präimaginalfotos. Die aus dem Fergana-Tal im Grenzbereich Kirgistan/ Usbekistan beschriebene Art wurde am 15. Juli 1940 zum letzten Mal gesammelt und seither trotz mehrfacher gezielter Suche nie mehr gefunden. Da die Landschaft dort völlig verändert wurde, gehen die Autoren von einem möglichen Aussterben der Art aus. Zu Zygaena storaiae, die nur von 2 Fundorten im Bergland im Osten Afghanistans bekannt ist, gibt es weder Ei-, noch Raupen- oder Kokon-Fotos - einfach deshalb, weil die Präimaginalstadien der Art noch völlig unbekannt sind. Die schönen Freiland-Falterfotos und vor allem die großartigen Habitatfotos laden hier eigentlich zur Raupensuche ein – eigentlich ...

Von der nur von einer Stelle im Zāgros-Gebirge im Iran bekannten Z. tenhagenova gibt es zwar schöne Freiland-Eifotos, doch den Autoren gelang weder die Zucht noch der Freilandfund von Raupen (weshalb hier Raupen- und Kokon-Fotos fehlen). Zu der erst 2005 von den beiden Autoren aus dem Zāgros-Gebirge im Iran beschriebenen Zygaena bakhtiyari gibt es zwar Ei- und Kokon-Fotos, nur Raupenfunde und -Raupenfotos fehlen noch. Genauso gibt es zu Zygaena peschmerga aus den Hochlagen der östlichen Türkei bisher nur Ei- und Kokon-Fotos, aber kein Raupenfoto. Zu Zygaena problematica gibt es zwar Eiraupenfotos, aber kein eigentliches Ei-Foto – die Art ist nur von einer einzigen Stelle in der Süd-Türkei bekannt.

Nur ein Uralt-Raupenfoto aus Rothschild (1917) gibt es zu Z. theryi. Die Lebendfotos zur Art sind die qualitativ schlechtesten (aber immer noch guten!) Fotos, die die Autoren in ihrem Doppelband anbieten – sie stammen vom 22. Mai 1982 aus den Gorges de Chiffa in Algerien – die Autoren suchten dort 1984, 1989, 1991, 2018 und 2019 vergeblich nach. Die Art hatte also bei Drucklegung des Bandes als verschollen zu gelten. [Kurz danach kam die Meldung über einen Wiederfund – Ziel jener Meldung war leider nicht der Schutz der Art kurz vor ihrem weltweiten Aussterben, sondern die gefangenen Exemplare wurden skrupellos meistbietend verhökert. Sicher nicht zur Freude des noch lebenden Autors des Doppelbandes. Wir müssen es traurig zur Kenntnis nehmen: Wenn wir den Riesenalk, den St. Helena-Riesensturmvogel und den Réunion-Nachtreiher nicht schon lange ausgerottet hätten, würden wir das heute tun.]

Der Doppelband ist – wie das gesamte Werk – extrem gut durchstrukturiert. Nichts blieb dem Zufall überlassen. Bei vielen anderen Monographien gibt es genau eine Doppelseite aus Bildern und Text – egal wieviel der Autor zu einer Art weiß oder eben nicht. Da ist es natürlich einfach, eine Struktur einzuhalten. Hier spiegelt die Textlänge hingegen auch das Wissen über die Arten wieder. Arten mit weiter Verbreitung und damit zwangsläufig auch großer Variation in Aussehen und Lebensweise nehmen so zwangsläufig mehr Raum ein als nur ganz punktuell vorkommende Arten. Die 108 Arten werden in systematischer Reihenfolge abgehandelt, wobei die Autoren sie in 26 Gruppen (mit sehr unterschiedlicher Artenzahl) zusammenfassen. Wie kann man da Struktur hineinbekommen? Die Autoren haben das genial gelöst: mit einem Farbregister: S. 6-7 gibt es dazu eine Übersicht, bei der jede der 26 Gruppen eine Farbe zugeordnet bekommt. Sucht man die „fausta-group“ (dunkelgrün) oder die „filipendulae-group“ (dunkelrot) kann man sie direkt greifen, ohne den Index bemühen zu müssen. Und das lohnt sich: die entsprechenden Übersichtsseiten zu den Gruppen enthalten nicht nur eine Liste der zur Gruppe gehörenden Arten, sondern auch einen ökologischen und biogeographischen Kurzabriss der Artengruppe. Die Verbreitungskarte zeigt die Palaearktis und dezent herausgehoben das Vorkommensgebiet von Zygaena-Arten überhaupt. In kräftigem Grün wird das Verbreitungsgebiet der jeweiligen Gruppe überlagert. So sieht man auf einen Blick, dass die artenreichste Gruppe, die manlia-group mit ihren 21 Arten, auf einen relativ kleinen Bereich am Südrand des Zygaena-Areals beschränkt ist, während die purpuralis-group mit ihren 8 Arten rund die Hälfte des Zygaena-Areals einnimmt. Blättert man nur durch die Übersichtsseiten dieser Gruppen und liest die Kurztexte dazu, weiß man schon mehr über Zygaenen als die meisten Lepidopterologen.

Warum werden die Arten mit gleich zwei Verbreitungskarten abgehandelt? Die eine („range and type-localities“) färbt das Areal ein – Zahlen darin stehen für die Typen-Lokalitäten der Arten und Unterarten. Und auf der Seite daneben finden man dann eine Tafel mit den gleichen Zahlen, diesmal mit Namen der Unterarten und gespannten Belegfaltern dazu. Die zweite Karte mit den „recorded sites“ ist eine Karte voller Punkte. Sie zeigt also die konkreten Funde an. Der Vergleich dieser Punktkarten (z.B. von Z. minos und Z. purpuralis) ist immer wieder interessant.

Erwin, eine Buchbesprechung soll kürzer sein als das zu besprechende Buch! Ja, aber es gäbe ja noch so viel herauszuheben. Schon bei meiner Besprechung von Band 1 tat ich mich sehr schwer. Und ich ahnte es, dass das bei Band 3 noch viel schwerer würde. Ich habe in den letzten 22 Monaten bestimmt 30 Anläufe genommen und sie dann alle wieder verworfen, weil sie mir nicht treffend genug erschienen. Und natürlich habe ich geschaut, was denn die Kollegen für Buchbesprechungen bringen. Seltsam: fast gar keine! Tun die sich alle so schwer damit wie ich? Zunächst sagte ich Axel: vor der Buchbesprechung muss ich erst einmal einen Fehler gefunden haben. Den ersten hatte ich dann tatsächlich schnell und nach der Komplettlektüre waren es vier Fehler; na ja, vier Fehlerchen, absolut nichts Gravierendes. Ich habe sie Axel mitgeteilt, das soll reichen.

Das einzige, was dem Band fehlt, sind Genitalabbildungen – sie finden sich alle im schon erschienenen Band 1.

Und jetzt soll meine Besprechung endlich raus, noch vor dem dieses Jahr endlich wieder stattfindenden Zygaenen-Symposium (13.-16. September 2022 in Karlsruhe). Vielleicht könnt Ihr Euch Euren Doppelband dort signieren lassen. Wie hatte ich doch meine Besprechung von Band 1 begonnen? „Das absolute Muss für jeden Zygaenenforscher – und eine wertvolle Lektüre für jeden, der nicht nur Namensetiketten an seinen Faltern oder Bildern will. Ein fantastischer Band mit unendlich vielen Falter- und tollen Landschaftsaufnahmen …“ Für Band 3 gilt das erst recht. Gerade die vielen exzellenten Aufnahmen von herrlichen Landschaften, die ich nie sehen werde – viele davon heute auch kaum mehr zugänglich, und nicht wenige davon bereits zerstört oder in Zerstörung begriffen, können bei aller Freude auch melancholische Gefühle beim Schmökern in den Bänden hervorrufen. Für die ein oder andere Art könnte die Abhandlung hier schon fast einen Nachruf darstellen.

Der Preis. [Ja, ich weiß: Das neue Handy, das spätestens nach 2 Jahren weggeworfen wird, darf etwas kosten, ein noch nach Jahrzehnten wertvolles Buch nicht.] Die ganze Buchreihe wurde durch die Thomas Witt-Stiftung gefördert. Dadurch kann dieses Monumentalwerk zu einem eigentlich unverschämt günstigen Preis verkauft werden. Aber: Internet-Nutzer wollen heute alles sofort und selbstverständlich kostenlos. Und vieles davon bekommen sie dann ja auch. Ab und zu sogar etwas qualitativ Hochwertiges - das Lepiwiki des Lepiforum möchte ich dazurechnen. Das Lepiwiki wird manches aus den Bänden von Hofmann & Tremewan übernehmen, z.B. Angaben zu den Nahrungspflanzen oder zur Verbreitung. Hier muss ich aber sagen: Wer sich mit Lepiforum begnügt, ist selber schuld ! Thomas Schmitt hat es in [seiner Buchbesprechung] gesagt: „After this work, there is probably no other major insect group in the world that has been treated as comprehensively as the burnet moths”. Und ich stimme mit ihm überein: Das Buch ist ein echter Hochgenuss für Buchliebhaber ! Ich kenne kein Fachbuch, das ähnlich stark zum immer wieder darin Schmökern und dabei die Welt entdecken einlädt als diese Natural History of Burnet Moths. Axel, meine Gratulation dazu ! Ich freue mich jetzt auf das baldige Erscheinen des noch ausstehenden Band 2.