1. Lebendfotos
1.1. Falter
[Hinweis: einige Raupen-, Puppen- und Falterfotos aus einer e.l.-Zucht von Roland Breithaupt aus dem Jahr 2012 wurden am 25. Januar 2019 entfernt, da sie sich deutlich von den Tieren der Krim unterscheiden; am 25. Februar 2020 wurden diese Fotos bei Agdistis arabica eingebaut [Forum] und [Korrektur]
1.2. Puppe
2. Diagnose
2.1. Weibchen
2.2. Geschlecht nicht bestimmt
2.3. Genitalien
2.3.1. Weibchen
2.4. Erstbeschreibung
3. Biologie
3.1. Nahrung der Raupe
- [Tamaricaceae:] Myricaria germanica [= Tamarix germanica] (Deutsche Tamariske)
- [Tamaricaceae:] Tamarix gallica (Französische Tamariske)
- [Tamaricaceae:] Tamarix canariensis [= Tamarix gallica v. canariensis] (Kanarische Tamariske)
- [Tamaricaceae:] Tamarix dioica (Zweihäusige Tamariske)
- [Tamaricaceae:] Tamarix smyrnensis (Smyrna-Tamariske)
- [Tamaricaceae:] Tamarix aphylla (Blattlose Tamariske)
- [Tamaricaceae:] Tamarix africana (Sommer-Tamariske, Afrikanische Tamariske)
- [Tamaricaceae:] Tamarix gennanica (Tamariske)
- [Tamaricaceae:] Tamarix sp. (Tamariske)
Reutti (1853: 210) berichtete: "Hr. v. Heyden entdeckte Anfangs October 1842 auf den Rheininseln bei Kehl (Strassburg) die Raupen auf Tamarix Germanica. Mit nach Frankfurt genommen überwinterten sie, fingen im Frühling wieder an zu fressen und entwickelten sich Mitte Mai." Reutti (1898) kann über weitere Funde an dieser Pflanze berichten. A. tamaricis ist ganz auf Tamarisken angewiesen.
Sehr schwer einzuordnen ist der "Bericht über die 18. Sitzung der schweizerischen entomologischen Gesellschaft, am 26. September 1875 in Aarau" ([Anonymus] (1875: 450-451)). Dort ist zu lesen: "Herr Wullschlegel macht folgende Mittheilungen: [...] Im Raupen-, Puppen- und vollkommenen Zustande, ebenfalls neu für die Schweiz. Die eigenthümlich gestaltete Raupe findet sich im Juni und in der ersten Hälfte des Juli und dann in zweiter Generation im September und Oktober auf Aarinseln. Nahrung: Tamarix germanica und Scrophularia canina, letztere Pflanze scheint sie besonders zu lieben, namentlich im Juni, wenn dieselbe üppig blühend dasteht." Hatte Herr Wullschlegel tatsächlich über Raupen an Scrophularia canina berichtet? Oder waren das Falter beim Blütenbesuch? So, wie das dasteht, wäre es eindeutig eine Raupennahrungspflanze, zudem noch eine bedeutende - aber Herr Wullschlegel als Referent hat diesen Sitzungsbericht des anonymen Schreibers vermutlich nicht autorisiert, und Reutti (1898: 149) und andere haben diese Meldung auch nicht aufgegriffen - wahrscheinlich, weil sie schlichtweg falsch war. Wenige Jahre früher, bei Frey (1871: 125) liest sich das jedenfalls noch ganz anders: "Herr Wullschlegel fand dieses längst vermuthete Thier in diesem Jahre, und zwar in zwei Generationen, bei Wildegg, Canton Aargau. Die Raupe lebt auf Tamarix germanica an den Ufern der Aar."
Nolcken (1882: 200) hatte aus Cannes in Südfrankreich berichtet: "Die schon fast erwachsenen Raupen sammelte ich mit Millière am 11. Mai, indem wir sie bei der Verrerie von einer Tamarix gallica-Hecke längs der Eisenbahn abklopften. Da ich bald darauf abreiste, so konnte ich sie nicht gehörig pflegen und erhielt von einer ziemlichen Anzahl Raupen nur 2 Falter. Ihre Naturgeschichte hat Millière Icon. III, p. 237, Pl. 126, fig. 5 — 7 ausführlich dargestellt."
Klimesch (1942: 358) meldet aus Kroatien (Gravosa, Dalmatien): "1 " aus einer Mitte Mai an Tamarix gefundenen Raupe: 8.VI.1933."
Arenberger & Baez (2011: 92) nennen bei dem von ihnen untersuchten Belegtieren für Teneriffa auch: "El Medano, ex l. 14.6.1972, an Tamarix gallica v. canariensis, Klimesch." Angepasst an die neuere Systematik heißt es dann: "Futterpflanze: Tamarix canariensis (Tamaricaceae)."
Da die Art auch angepflanzte Tamarisken nutzt, ist die Liste von Fazekas & Edmunds (2023: 28) noch länger: "Larvae on the leaves of Tamarix dioica, T. gallica, T. smyrnensis, T. aphylla, T. canariensis, T. africana, T. gennanica and Myricaria germanica." "Tamarix gennanica" ist dabei wohl nur ein blöder Verschreiber von "Tamarix germanica", wie er durch copy+paste aus einem PDF entstehen kann.
(Autor: Erwin Rennwald)
4. Weitere Informationen
4.1. Andere Kombinationen
- Adactyla tamaricis Zeller, 1847 [Originalkombination]
4.2. Synonyme
- Agdistis bagdadiensis Amsel, 1949 [Synonym nach Arenberger (1977: 191)]
4.3. Faunistik
Wo liegt der locus typicus? Zeller (1847) formulierte in seiner Erstbeschreibung: "Mein einzelnes Männchen erhielt ich von Herrn Bürgermeister v. Heyden, mit der Angabe: von Strassburg." Bei Arenberger (1977: 191) heißt es daher: "Locus typicus: Frankreich: Straßburg. Holotypus, ♀: „Typus“ GU 2094 BM. Coll. BM." Aber stimmt das?
Reutti (1853: 210) berichtete wenige Jahre später: "Hr. v. Heyden entdeckte Anfangs October 1842 auf den Rheininseln bei Kehl (Strassburg) die Raupen auf Tamarix Germanica. Mit nach Frankfurt genommen überwinterten sie, fingen im Frühling wieder an zu fressen und entwickelten sich Mitte Mai."
Kehl oder Straßburg? Deutschland oder Frankreich? Von Heyden lebte in Frankfurt, P.C.Zeller wurde zwar in Württemberg geboren, arbeitete und lebte zu jenem Zeitpunkt aber schon lange in Meseritz in Preußen (heute Miêdzyrzecz in Polen). Kehl umfasste damals wenig mehr als tausend Einwohner, Straßburg war mit ca. 75.000 Einwohnern eine sehr bedeutende Stadt. Was also meldet man einem weit entfernt wohnenden Kollegen, dem man vom Fund auf einer Rheininsel zwischen Kehl und Straßburg berichten will? Nach meinem Geburtsort gefragt sage ich jedenfalls auch heute noch erst einmal "Kehl", und bei fragendem Blick gleich hinterher "bei Straßburg". Dann ist meist alles klar. Straßburg hatte eine wechselvolle Geschichte bezüglich der Zugehörigkeit zu Frankreich oder Deutschland (bzw. dessen Vorläufern). 1842 gehörte Straßburg zu Frankreich, Kehl war - nachdem das Fort geschleift war - wieder an Baden zurückgegeben. Die meisten der Rheininseln waren von Kehl aus besser zugänglich als von der französischen Seite aus. Für von Heyden war es also sicher sehr viel leichter, von Kehl aus auf diese Inseln zu kommen als vom (mehr oder weniger feindlichen) Straßburg aus. Die Inseln lagen auch nach der Tulla'schen Rheinkorrektur zumeist auf badischer Seite, so dass der Holotypus also sehr wahrscheinlich auf auch heute noch badischem Gebiet, und damit in Deutschland, gesammelt wurde. Aber das ist letztlich eine spitzfindige Fragestellung: Die Rheininseln in dieser Form existieren heute nicht mehr, Myrica germanica ist auf beiden Rheinseiten des Oberrheins ausgerottet, Agdistis tamaricis hier schon sehr viel früher verschwunden.
Locus typicus ist also eine Rheininsel bei "Strassburg", also eine nicht mehr existente Insel bei Straßburg (im heutigen Hoheitsgebiet von Frankreich) oder - viel wahrscheinlicher bei Kehl (im heutigen Hoheitsgebiet von Deutschland).
Nach Hausenblas (2006) liegen alte Belege aus dem badischen Rheintal (Deutschland) vor, die die Richtigkeit der Angaben von Reutti (1898: 149) bestätigen: „von Kleinkems bis Greffern, auf Rheininseln und in Rheinwaldungen“. Da die Raupe auf Tamarisken angewiesen ist, und die Deutsche Tamariske (Myricaria germanica) am Oberrhein - wo sie vor der Tullaschen Rheinkorrektion einst häufig war - seit 1970 ganz erloschen ist (Quinger 1990 und Beobachtungen E. Rennwald), ist auch Agdistis tamaricis hier - und damit in Deutschland - mit Sicherheit erloschen. Genau wie auch zwei weitere Falter, die hier einst an Tamarisken lebten und hier ebenfalls ihren locus typicus hatten: Ascalenia vanella und Istrianis myricariella.
SwissLepTeam (2010) kann aus der Schweiz nur alte Literaturangaben aus dem Mittelland (siehe Nahrung der Raupe) und dem Wallis anführen.
Nel (1991: 168-169) meldet Raupenfunde auf Korsika.
Bemerkenswerterweise scheint die Art in Ungarn und einigen anderen osteuropäischen Ländern nicht ursprünglich, sondern eingeschleppt zu sein. Fazekas & Edmunds (2023: 28) schrieben dazu: "Distribution. Widespread in the Palaearctic and Afrotropical regions. Remarks. This species is absent or unrecorded from vast areas of Central Asia, or populations are there highly fragmented. Its schematic, bicentric distribution is shown on the map North of the Balkan Peninsula, in Hungary, Fazekas (1997) studied the occurrence of the species, the food plant and habitats in detail. He found that the species was introduced into the country with horticultural crops. Likely, A. tamaricis is not native to several European regions but is an adventive species. It is still unrecorded in several countries in the Balkans, but its occurrence can be expected."
(Autor: Erwin Rennwald)
4.4. Literatur
- [Anonymus] (1875): Bericht über die 18. Sitzung der schweizerischen entomologischen Gesellschaft, am 26. September 1875 in Aarau. — Mittheilungen der Schweizerischen entomologischen Gesellschaft, 4 (8): 443-453. [PDF auf e-periodica.ch]
- Arenberger, E. (1977): Die palaearktischen Agdistis-Arten (Lepidoptera, Pterophoridae). — Beiträge zur naturkundlichen Forschung in Südwestdeutschland, 36: 185-226. [PDF auf islandlab.uac.pt]
- Arenberger, E. & M. Baez (2011): Die Pterophoridae (Lepidoptera) des Kanarischen Archipels. — Zeitschrift der Arbeitsgemeinschaft ÖsterreichischerEntomologen, 63: 81-99. [PDF auf zobodat.at]
- Fazekas, I. & H. Edmunds (2023): New records of Alucitidae and Pterophoridae species from Crete (Lepidoptera). — Lepidopterologica Hungarica, 19 (1): 25–36. [PDF auf researchgate.net]
- Frey, H. (1871): Ein Beitrag zur Kenntniss der Microlepidopteren. — Entomologische Zeitung, 32: (4-6): 101-130. Stettin. [PDF auf zobodat.at]
- Gielis, C. (1996): Pterophoridae. — In: Huemer, P., Karsholt, O. & L. Lyneborg [ed.] (1996): Microlepidoptera of Europe 1: 1-222. Stenstrup (Apollo Books).
- Hausenblas, D. (2006): Korrekturen und Ergänzungen zur Mikrolepidopterenfauna Baden-Württembergs und angrenzender Gebiete. — Mitteilungen des Entomologischen Vereins Stuttgart 41 (1/2): 3-28. [PDF auf zobodat.at]
- Klimesch, J. (1942): Über Microlepidopteren-Ausbeuten aus der Gegend von Zaton bei Gravosa (Süddalmatien). — Mitteilungen der Münchner Entomologischen Gesellschaft 32 (2/3): 347-399 + Taf. XIII-XV [hier 380-383 + Taf. XV]. [Digitalisat auf www.archive.org] bzw. [PDF auf zobodat.at]
- Nel, J. (1991): Deuxième note sur les Ptérophores de la Corse. Stenoptilia cyrnea n. sp. et Merrifieldia moulignieri n. sp.. Vingt et unième contribution à la connaisance de la biologie des Pterophoridae du sud de la France. — Alexanor 17 (3): 167-182.
- Nolcken, J.H.W. (1882): Lepidopterologische Notizen. — Entomologische Zeitung, 43 (10-12): 173-201. Stettin. [PDF auf zobodat.at]
- Quinger, B. (1990): Tamaricaceae. Tamariskengewächse. - S. 110-112. In: Sebald, O., Seybold, S. & G. Philippi (1990): Die Farn- und Blütenpflanzen Baden-Württembergs. Band 2: Spezieller Teil (Spermatophyta). - 442 S.; Stuttgart.
- Reutti, C. (1898): Übersicht der Lepidopteren-Fauna des Grossherzogtums Baden (und der anstoßenden Länder). Zweite Ausgabe des in den Beiträgen zur rheinischen Naturgeschichte erschienenen gleichnamigen Werkes. Nach des Verfassers Tode im Auftrag des Naturwissenschaftlichen Vereins zu Karlsruhe gemeinschaftlich mit Adolf Meess, [...] überarbeitet und herausgegeben von Dr. med. et phil. Arnold Spuler, [...] - 361 S.; Berlin (Gebrüder Bornträger). [Digitalisat auf archive.org] bzw. PDF-Download auf [dspace.bcu-iasi.ro]
- [SCHÜTZE (1931): 140]
- SwissLepTeam (2010): Die Schmetterlinge (Lepidoptera) der Schweiz: Eine kommentierte, systematisch-faunistische Liste. — Fauna Helvetica 25. Neuchâtel (CSCF & SEG).
- Erstbeschreibung: Zeller, P. C. (1846): Revision der Pterophoriden. — Linnaea Entomologica 1: 319-416.