2. Diagnose
2.1. Erstbeschreibung
Toll & Amsel (1967: 15-16): „Coleophora treskaensis sp. n. (Taf. 2 Fig. 29)
Spw. 7,5 mm. Kopf, Thorax, Palpen weißlich. Palpenbusch des zweiten Gliedes kurz, Endglied ½ des zweiten. Basalglied der Fühler ohne Schuppenbusch. Fühler weißlich und bräunlich geringelt. Vfl. weißlich mit einigen, wenigen dunkleren Schuppen, vornehmlich nach dem Apex zu. Hfl. weißgrau. Genitalapparat des ♀: Subgenitalplatte caudal zunächst stark verschmälert, dann parallelrandig. Introitus vaginae 4–5 mal so lang bis zum Beginn der beiden Gräten wie letztere lang sind. Gräten von der Länge eines Abdominal-Segments. Signum fehlend. Paratypus: 1 mäßig erhaltenes ♀ aus Balkh 24. 5. 56 (GU 13). Der Holotypus dürfte in der Sammlung Toll sein.“
3. Biologie
3.1. Nahrung der Raupe
- [Asteraceae:] Artemisia campestris (Feld-Beifuß)
- [Asteraceae:] Artemisia turanica [= Seriphidium turanicum]
- [Asteraceae:] Artemisia sp. (Beifuß)
Nel (2002: 276) meldet aus den Pyrenäen Frankreichs einen Raupensackfund an Artemisia campestris und erläutert: "A ma connaissance l'unique renseignement concernant la biologie de cette espèce émane de PETSHEN (1989) qui la signale sur Artemisia (Seriphidium) sp. dans le sud du Turkménistan. Cette donnée est confortée par à la découverte d'un fourreau sur Artemisia campestris L. près de Marquixanes dans les Pyrénées-Orientales, le 4 août 1993 : de ce fourreau est sortie une femelle le 18 août (J. Nel leg.). Le fourreau de C. treskaensis est long de 4,5 mm environ, tubulaire soyeux, un peu renflé ventralement en son milieu, entièrement recouvert de minuscules grains de sable ; l'angle buccal est d'environ 45° et l'ouverture anale est trivalve."
Im gleichen Jahr synonymisierte Baldizzone (2002) Coleophora psammion Falkovitsh, 1973 mit C. treskaensis. Falkovitsh (1973: 228-229) hatte den Holotypus seiner Art von Artemisia turanica aus der Kysylkum-Wüste von Usbekistan gezüchtet.
4. Weitere Informationen
4.1. Andere Kombinationen
- Casignetella treskaensis (Toll & Amsel, 1967) [so bei Sinev (2019)]
4.2. Synonyme
- Coleophora psammion Falkovitsh, 1973 [synonymisiert von Baldizzone (2002)]
- Coleophora sciurella Baldizzone, 1987
4.3. Nomenklatur und Taxonomie
Wieviel muss - bei einer Arbeit von zwei Autoren - ein Erstautor am Manuskript geschrieben haben, damit er Erstautor sein kann ? Das müssen die beiden schon selbst miteinander aushandeln ! Darf ein Einzelautor einen (berühmten) anderen Namen als Erstautor dazusetzen ? Schon schwieriger, aber wenn derjenige einverstanden ist ... Wie aber, wenn der ominöse "Erstautor" gar nicht gefragt werden kann, weil er schon lange vor Beginn der Manuskriptfassung gestorben ist ? Das geht natürlich gar nicht !
In der hier vorliegenden Arbeit kommen wir nahe an diesen theoretischen Fall heran: gleich im zweiten Abschnitt wird erklärt, dass der Erstautor kein Manuskript mehr anfertigen konnte und das deshalb der Zweitautor alleine tat. Sergiusz Toll starb im Dezember 1961, die schnell hingeschriebene Arbeit erschien 1967 ! Trotzdem werden in der lepidopterologischen Fachliteratur alle 37 Coleophora-Erstbeschreibungen in der hier zu diskutierenden Publikation nicht Amsel, 1967, sondern Toll & Amsel, 1967 zugeordnet. Ist das zu rechtfertigen ? Für Amsel selbst scheint das klar gewesen zu sein - von ihm stammen ja nur die kurzen, meist wenig aussagekräftigen Beschreibungstexte. Die eigentliche wissenschaftliche Arbeit hatte Toll noch kurz vor seinem Tod erledigt: alle Exemplare bestimmt und die bisher noch unbeschriebenen Arten auf den Etiketten mit Manuskriptnamen versehen. Dass Graf Toll diese Arten beschreiben wollte, war also keinerlei Frage (und mit 68 Jahren hätte er eigentlich auch noch Zeit dazu gehabt). Offensichtlich sah Amsel in der Namensvergabe und der Kennzeichnung der Typusexemplare bereits einen - oder gar den wesentlichen - Beitrag zum Manuskript - und spätere Autoren folgten dem.
Im Falle von Coleophora treskaensis wird es besonders heikel: Mit Amsel als alleinigem Autor der Arbeit, könnte der Holotypus nicht anerkannt werden, dann Amsel hat ihn zum Zeitpunkt der Manuskript-Abfassung oder davor weder als physisches Objekt noch als Foto, Zeichnung oder textliche Beschreibung vorliegen gehabt. Er wusste nur, dass Toll ein Sammlungsexemplar benannt und entsprechend gekennzeichnet hatte - er kannte weder den Finder noch den Fundort dazu und selbst zum Aufbewahrungsort war er sich unsicher. Amsels Beschreibung bezog sich also ganz eindeutig nur auf den Paratypus aus Afghanistan.
Um hier nicht unnötige Verwirrung zu schaffen, ist es gut, Toll hier weiterhin als Mitautor der Arbeit und der Artbeschreibungen zu akzeptieren - Graf Toll hatte das Typusexemplar aus der Treska-Schlucht jedenfalls gekannt.
4.4. Faunistik
Der Paratypus stammt von Balkh im Norden von Afghanistan. Und der Holotypus? Das wird in der Erstbeschreibung nicht verraten! Bei Toll & Amsel (1967: 16) heißt es nur: "Der Holotypus dürfte in der Sammlung TOLL sein." Wie kam es zu dieser seltsamen Meldung? Das Manuskript wurde eigentlich von G. Amsel alleine verfasst, da Graf v. Toll schon mehrere Jahre zuvor verstarb. Toll hatte aber alle Tiere etikettiert und mit den neuen Artnamen versehen. Die Tiere steckten in den Landessammlungen für Naturkunde in Karlsruhe (jetzt SMNK), deren Direktor G. Amsel damals war - die meisten Exemplare hatte Toll auch selbst gesammelt. S. 5 ist aber zu erfahren: "Einige Holo- bzw. Allotypus-Stücke hatte Graf v. Toll aus besonderen Gründen offenbar noch zurückbehalten, sie befinden sich also noch in seiner Sammlung, sind aber Eigentum der Landessammlungen für Naturkunde Karlsruhe." Der Holotypus fand anscheinend nie den Weg ins Museum nach Karlsruhe - nach Baldizzone (2019: 463) befindet er sich im Museum in Krakau (Polen). Aber warum benannte Toll ein Tier aus Afghanistan "treskaensis"? Eigentlich kann es hier nur einen Grund geben: Weil der Holotypus nicht aus Afghanistan stammt, sondern aus der Treska-Schlucht im Norden von Nordmazedonien! Und genau das ist dem Originaletikett, das Amsel nicht kannte, auch zu entnehmen: "Macedonia │ Skopje │ Treska".
Baldizzone (1987: 33) beschrieb Coleophora sciurella, die Baldizzone (2002) dann synonymisierte, nach einem Exemplar aus der Sierra Nevada in Andalusien im Süden Spaniens.
Baldizzone et al. (2006: 116) schreiben zur Gesamtverbreitung: "Afghanistan, Iran, Turkmenistan, Uzbekistan, Turkey, Macedonia, Italy, France, Spain." Die Art ist demnach weit verbreitet. Ignać Richter zeigt auf seiner Artseite auf [coleophoridae.bluefile.cz] 2 Belege aus Nord-Italien: "Italy, Tirol, Vintschgau-Laatsch, 3.8.2003, leg. & coll. Šumpich, det. Richter" und "Italy, Alto Adige, Lasa, 18.8.2011, leg. & coll. Skyva, det. Richter Ig., GP 227174 IgR".
4.5. Typenmaterial
Amsel in Toll & Amsel (1967) konnte nur Daten zum Paratypus nennen ("Ein mäßig erhaltenes ♀ aus Balkh 24.5.56 (GU13)") - den Holotypus kannte er nicht.
Baldizzone (2019: 463) teilt zum Holotypus mit: "♀. "Macedonia │ Skopje │ Treska │ 16.IV.1916. │ A. Schmidt."; "Praeparat Nr 2786 ♀"; Coleophora treskaensis Toll", coll. ISZP." [= Polish Academy of Sciences, Institute of Systematic Zoology, Kraków, Polonia]
(Autor: Erwin Rennwald)
4.6. Literatur
- Baldizzone, G. (1987): Contributions à la connaissance des Coleophoridae. XLVI. Sur quelques Coleophores nouvelles ou peu connues d'Espagne et des Canares. — Nota lepidopterologica 10 (1): 25-48 [Digitalisat auf www.archive.org].
- Baldizzone, G. (2002): Contribuzioni alla conoscenza dei Coleophoridae. XCIX. Nuove sinonimie nel genere Coleophora Hübner (VIII) (Lepidoptera). — Bollettino Museo regionale di scienze naturali 19 (1): 115-120. Torino. [Digitalisat auf biodiversitylibrary.org]
- Baldizzone, G. (2019): Fauna d’Italia. Vol. LIII. Lepidoptera Coleophoridae. - XVII + 907 S.; Milano (Calderini).
- Baldizzone, G. van der Wolf, H. & J.-F. Landry (2006): World Catalogue of Insects 8. Coleophoridae, Coleophorinae (Lepidoptera). 1-215. Apollo Books (Stenstrup).
- Фалькович, М. Н. (1973): К познанию чехлоносок (Lepidoptera, Coleophoridae) пустыни Кызылкум [Falkovitsh, M. I. (1973): Contribution to the knowledge of casebearers (Lepidoptera, Coleophoridae) of the Kisilkum desert]. — Труды всесоюзного энтомологического общества 56: 199-233.
- Nel, J. (2002): Sur la biologie de quelques Lépidoptères dans le midi de la France (Lepidoptera). — Bulletin de la Société entomologique de France 107 (3): 275-279. [PDF auf persee.fr]
- Печень, В. И. (1989): К биологии некоторых чехлоносок (Lepidoptera, Coleophoridae) в Южной Туркмении, с описанием двух новых видов. — Труды Зоологического института Академия наук СССР 200: 27-32.
- Синёв, С. Ю. [ed.] (2019): Катапог чешуекрылых (Lepidoptera) России. Издание второе [Sinev, S. Yu. (ed.) (2019): Catalogue of the Lepidoptera of Russia. Second edition]: 1-448.
- Erstbeschreibung: Toll, S. (†) & H. G. Amsel (1967): Coleophoriden aus Afghanistan (Lepidoptera: Coleophoridae). — Beiträge zur naturkundlichen Forschung in Südwestdeutschland 26 (3), 2. Afghanistan-Heft: 5-16, pl. 1-5. Karlsruhe. (Ex libris Jürgen Rodeland)