Version 58 / 63 vom 20. November 2021 um 11:52:55 von Erwin Rennwald
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Artabgrenzung völlig unklar! Falter nach äußeren Merkmalen nicht sicher bestimmbar!
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Erstbeschreibung
Inhalt

1. Falter

[Hinweis Erwin Rennwald (20. November 2021): Alle Lebendfalterfotos der Fundorte "Österreich, Niederösterreich, Rax: Bergstation, Kampfwald, Latschen, Hochstauden, alpine Rasen, 1500-1600 m", "Niederösterreich, Wechsel: Marienseer Schwaig, Fichtenwald, Hochstauden, Nardetum, 1300-1500 m", "Österreich, Steiermark, Bad Mitterndorf, Salzabach, 840 m", "Österreich, Steiermark, Fischbacher Alpen, St. Kathrein am Offenegg, Sommeralm - Bründlalm, 1400 m", die Raupenfotos mit Daten "Österreich, Osttirol, Lienzer Dolomiten, 1400 m, Waldrand im Almenbereich, an Schwalbenwurz-Enzian", alle Diagnosefalter der Fundorte "Italien, Friuli Venezia Giulia, Dolomiti Friulane, Val Settimana, 880 m" und "Italien, Friuli Venezia Giulia, Dolomiti Friulane, Val Settimana, 880 m" sowie die zugehörigen Genitalien wurden am 20. November 2021 - den Vorgaben von folgend - zu Stenoptilia asclepiadeae verschoben. Dies gilt auch für die durch Barcode als "S. graphodactyla" determinierten Tiere. Dies ist alles andere als befriedigend, doch da bisher der Neubeschreibung von S. asclepiadeae und damit der Neufassung der S. graphodactyla durch Bigot & Picard (2008) niemand eine Synonymisierung hat folgen lassen (?), konsequent. Nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte wird auch diese Gliederung der Taxa um S. graphodactyla nicht lange Bestand haben - befriedigend ist sie jedenfalls nicht! Dabei gilt es vielleicht sogar nochmals grundlegend zu klären, was denn S. graphodactyla überhaupt ist: immerhin wurde in der Erstbeschreibung betont, dass die Raupen bei Wildbad Kreuth an Gentiana lutea gefunden wurden! Könnte das Taxon dann ein älteres (!) Synonym zu Stenoptilia lutescens sein? Hat Hannemann (1977) überhaupt einen Lectotypus aus der Treitschke-Sammlung gewählt? Wurde seine Genitalzeichnung fehlgedeutet? Wie kam es vom Gelben Enzian zum Lungen-Enzian? - Meiner Meinung nach stinkt hier noch Vieles.]

2. Diagnose

2.1. Allgemeines

Bigot & Picard (2008) zerlegen die S. graphodactyla-Gruppe in Europa in 7 Arten, wovon sie 2 neu beschreiben und eine weitere aus der Synonymie befreien. Selbstverständlich hat dies auch Konsequenzen bezüglich bisheriger Diagnosen in der Literatur (und bei uns im Lepiforum): "Comme l’indique la liste des plantes-hôtes (Gentiana verna, G. lutea, G. pneumonanthe et G. asclepiadea) attribuées au taxon graphodactyla par HANNEMAN [1977], il est évident que cet auteur a confondu sous la même dénomination plusieurs taxons différents : par exemple, la description et la photographie de l’imago publiées par lui [HANNEMAN, 1977 : 59 et Fig. 3, pl. 3) correspondent au taxon asclepiadeae n. sp. et non au vrai graphodactyla !" Doch es bleiben nach wie vor sehr viele Fragen offen. Woher wissen Bigot & Picard (2008) eigentlich, wie die "echte" S. graphodactyla aussieht, wenn sie den zugehörigen Lectotypus gar nie selbst gesehen haben sondern nur die Genitalzeichnung Hannemanns dazu?

2.2. Erstbeschreibung

3. Biologie

3.1. Nahrung der Raupe

  • [Gentianaceae:] Gentiana lutea ? (Gelber Enzian ?)
  • [Gentianaceae:] Gentiana pneumonanthe ?? (Lungen-Enzian ??)
  • [Gentianaceae:] Gentiana asclepiadea ?? (Schwalbenwurz-Enzian ??)
  • [Gentianaceae:] Gentiana verna ??? (Frühlings-Enzian ???)

Der Schwalbenwurz-Enzian ist durch diverse Funde und Fotos für S. graphodactyla bestätigt gewesen - bis Bigot & Picard (2008) alle Populationen, die an dieser Pflanze leben, als zu Stenoptilia asclepiadeae gehörend erklärt haben. Nach ihnen soll die "echte" S. graphodactyla ausschließlich an G. pneumonanthe leben. Gerade in Flächen mit beiden Enzian-Arten können Ablagen an die jeweils andere Pflanze wohl kaum ausgeschlossen werden.

Und was ist mit der Erstbeschreibung von S. graphodactyla ? Dort wurde doch ausdrücklich betont, dass die Raupen am locus typicus bei Wildbad Kreuth an Gentiana lutea gesammelt wurden! Bisher scheint jedenfalls noch ziemlich unklar zu sein, was S. graphodactyla überhaupt ist. Zunächst einmal das, was in der Erstbeschreibung steht. Und dann müsste man doch den Lectotypus mal anschauen ...

Angaben zu Gentiana verna gehören wahrscheinlich zu Stenoptilia coprodactyla.

(Autor: Erwin Rennwald)

4. Weitere Informationen

4.1. Andere Kombinationen

4.2. Taxonomie

Bigot & Picard (2008) zerlegen die S. graphodactyla-Gruppe in Europa in 7 Arten, wovon sie 2 neu beschreiben und eine weitere aus der Synonymie befreien. Insgesamt ist auch dieses neue Konzept nicht umfassend befriedigend: Die Arttrennungen erfolgen auf meist winzigen Genitalunterschieden - also dem, was schon in der Vergangenheit mehr für Chaos als für Ordnung gesorgt hat. Gleich 4 der 7 Arten (S. graphodactyla, S. pneumonanthes, S. arenbergeri, S. failliei) sollen an Gentiana pneumonanthe leben, eine (S. asclepiadeae) an Gentiana asclepiadea, eine (S. nelorum) an Gentiana cruciata - und bei S. nolckeni ist die Nahrungspflanze noch nicht bekannt. Da gerade am nördlichen Alpenrand Gentiana pneumonanthe und G. asclepiadea oft nahe beisammen wachsen, wäre es interessant, in solchen gemischten Pflanzenkolonien in größerer Anzahl Raupen an den beiden Pflanzen zu sammeln und sie getrennt nach diesen Nahrungspflanzen aufzuziehen - sollte dann eine eindeutige Trennung nach den Genitalien in zwei oder mehr Falter-Taxa möglich sein, wäre das ein Indiz, dass hier tatsächlich mehrere Arten beteiligt sein könnten - was dann natürlich noch durch Barcoding bestätigt werden sollte. Aber so weit scheinen wir noch lange nicht zu sein. Ich jedenfalls bin noch nicht überzeugt davon, dass die Arten jeweils ganz streng auf genau eine Enzian-Art fixiert sind.

Aber Widerspruch ist zu erwarten, denn Treitschke (1833: 233-234) betonte in seiner Erstbeschreibung ja ausdrücklich, dass Freyer die Raupen "im Bade Kreith, bey Tegernsee" fand und weiter: "Die Raupen lebten auf dem gelben Enzian (Gentiana lutea), in den zusammengezogenen Blättern dieser Pflanze. Auf einem Busche befanden sich gewöhnlich zehn bis fünfzehn Stück. Er nahm sie mit sich und erzog sie. Die mir gefälligst überlassenen Exemplare [...]". Ich habe die Ausführungen von Hannemann (1977) noch nicht studiert, weiß also nicht, wie er zu seinem Lectotypus kam, aber mit G. lutea als Nahrungspflanze wäre hier Synonymie mit S. lutescens zu erwarten, wobei S. graphodactyla dann der ältere (!) und damit gültige Name für die Gelbenzian-Federmotte wäre.

4.3. Faunistik

Locus typicus ist Wildbad Kreuth, nahe beim Tegernsee in Bayern (Deutschland). Bigot & Picard (2008) umreißen das Verbreitungsgebiet nach Abspaltung neuer Arten aus der Gruppe: "Ce taxon se rencontre depuis le Sud-Est de la Pologne jusqu’en France, dans les prairies humides. Plante-hôte : Gentiana pneumonanthe L. Ce vrai graphodactyla est un taxon différent de celui désigné sous ce nom par la plupart des auteurs (cf. ci-après le taxon asclepiadeae n. sp. de l’arc alpin, qui vit sur Gentiana asclepiadea L.)." Und konkret: "Nous connaissons ce vrai graphodactyla de France (localités diverses dont, par exemple, Ferrières-en-Gâtinais, Figure 1c, d et e), d’Allemagne (Haute-Bavière, station du lectotype : Bad Kreith), ainsi que de Pologne (Wroclaw et Dulowa)." Alle Angaben zu "S. graphodactyla" aus der Slowakei, Österreich, Südtirol und der Schweiz müssten demnach vorerst als zu S. asclepiadeae gehörend betrachtet werden.

4.4. Typenmaterial

Bigot & Picard (2008) halten fest: "Lectotype ♀ d’Allemagne (Haute-Bavière : Bad Kreith près du Tegernsee) fixé par HANNEMAN [1975], lequel en figure les genitalia."

4.5. Literatur

  • Bigot, L. & J. Picard (2008): Les Stenoptilia français de la section graphodactyla : S. asclepiadeae n. sp. et S. failliei n. sp. (Lepidoptera Pterophoridae). - L'Entomologiste, 64 (2): 91-102. [PDF (ganzes Heft) auf lentomologiste.fr]
  • Bigot, L., Nel, J. & J. Picard (2009): Classification actualisée du genre Stenoptilia Hübner, 1825 (Lepidoptera, Pterophoridae). — Bulletin de la Société entomologique de France 114 (3): 327-336. [PDF auf persee.fr]
  • Hannemann, H.-J. (1977): Die Tierwelt Deutschlands und der angrenzenden Meeresteile nach ihren Merkmalen und nach ihrer Lebensweise. Begründet von F. Dahl. Teil 63, Kleinschmetterlinge oder Microlepidoptera III: Federmotten (Pterophoridae), Gespinstmotten (Yponomeutidae), Echte Motten (Tineidae). – 176 S. + 17 SW-Tafeln; Jena (Gustav Fischer Verlag). [Sekundärzitat]
  • [SCHÜTZE (1931): 161]
  • Erstbeschreibung: Treitschke, F. (1833): Die Schmetterlinge von Europa 9 (2): 1-294. Leipzig (Ernst Fleischer).