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06806c Lemonia italiana Prozorov, Prozorova, Volkova, Yakovlev, Nedoshivina, Pinzari, Pinzari, Scalercio, Bianco, Saldaitis, Hausmann, Revay & Müller, 2022
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Falter
Raupe
Inhalt

1. Lebendfotos

1.1. Falter

1.2. Raupe

2. Biologie

2.1. Nahrung der Raupe

Noch unbekannt! Der noch nicht näher bestimmte gelbe Korblütler (Asteraceae: Cichorioideae) auf dem oben gezeigten Raupenfoto von Gargano-Lesina lässt vermuten, dass das Taxon ein ähnliches Nahrungsspektrum hat wie auch Lemonia taraxaci oder L. dumi.

3. Weitere Informationen

3.1. Taxonomie und Faunistik

Seid furchtbar und mehret Euch ! ... Wie findet man kryptische Arten ? Man kann kleine, aber konstant erscheinende morphologische Unterschiede finden, die auf getrennte Arten hinweisen - und dann mit genetischen Methoden versuchen, diese Unterschiede zu bestätigen; mit offenen Erfolgsaussichten. Oder - mittlerweile viel häufiger - man findet beim Barcoding von Arten auffällig große Unterschiede und versucht dann dazu auch ein passendes, bisher übersehenes (genital-)morphologisches Muster zu finden; auch hier mit offenen Erfolgsaussichten, denn es gibt Arten, mit auffällig großer innerartlicher Varianz beim Barcoding selbst innerhalb von Populationen. Gelingt beim taxonomisch-integrativen Ansatz kein Nachweis, dass sich Barcode-Unterschiede auch konstant morphologisch auswirken, ist das Ergebnis klar: Es handelt sich um innerartliche Varianz und nicht um getrennte Arten.

Man kann sich [stark vereinfacht und dadurch auch nicht umfassend richtig] vorstellen, dass sich bei weit verbreitete Arten in zeitweise isolierten Randpopulationen Mutanten ansammeln, die sich in Kernbereichen der Art dann wieder miteinander vermengen. Der Weg von einer kleinen Randpopulation zurück in eine große Zentralpopulation wird dabei häufiger beschritten als der Weg von dort zurück in eine kleine Randpopulation. Zentralpopulationen sind daher im Normalfall genetisch vielfältiger und oftmals auch polymorpher. Beim klassischen Barcoding wird das Ergebnis (vermutlich) neutraler, sich über längere Zeiträume angesammelter Mutationen in einem kleinen Bereich der mitochondrialen DNA untersucht und mit entsprechenden Ergebnissen anderer Exemplare aus der gleichen oder aus anderen Populationen, Arten oder auch Gattungen verglichen. Unterscheiden sich Populationen konstant und einheitlich in bezug auf gleich etliche dieser Mutationen, spricht das für eine Isolierung über längere Zeiträume. Klassisch (d.h. nach morphologischen und biologischen Unterschieden) bestimmte Arten unterscheiden sich beim Barcoding in der Regel im Bereich zwischen 4 und 8 %, manchmal auch mehr, manchmal deutlich weniger, selten aber unter 2 %. Daraus leiten viele Möchtegern-Artbeschreiber ab, dass alles, was in die Nähe von 2 % kommt, unbedingt sofort als "neue" Art beschrieben werden muss. Doch dies ist - gelinde gesagt - Quatsch, denn solche Mutanten dürfen sich auch innerhalb einer einzigen vitalen Populationen finden, wenn die entsprechende Art nur alt genug ist. Können Barcode-Unterschiede mit morphologischen Merkmalen verknüpft werden, könnte es sich um getrennte Taxa (aber nicht unbedingt Arten) handeln. Ist das nicht der Fall, muss mit einer Vielzahl an Barcodes versucht werden, die vermuteten räumlichen Grenzen zwischen 2 Taxa auszuloten. Zufällig ausgewählte Einzeltiere aus vielen hundert Kilometer Abstand helfen da nicht weiter. Sollte eine solche Grenze tatsächlich gefunden werden, muss auch noch nach einer plausiblen Erklärung dafür gesucht werden, worin diese Grenze begründet liegt (unüberwindliches Gebirge, völlig andere Phänologie, andere Biologie, ganz andere Pheromone, andere Chromosomenzahl, etc.). Ohne morphologischen Unterschiede besteht bei 2 % Barcoding-Unterschied aber noch immer keinerlei Grund, hier von "bona species" zu reden.

Für mich sind die Arbeiten von Šumpich & Jagelka (2021), Prozorov et al. (2022a) und Prozorov et al. (2022b) in diesem Zusammenhang Musterbeispiele für völlig unberechtigte Art-Neubeschreibungen und Zur-Art-Aufwertungen. Insbesondere die Arbeit von Prozorov et al. (2022b) weist zudem schon beim zentralen Ansatz große Defizite in Bezug auf die Methodik wissenschaftlichen Arbeitens auf. Doch auch bei Prozorov et al. (2022a) sind die Mängel unübersehbar, so dass es mich wundert, dass diese Arbeit den peer-review-Prozess von Zootaxa überstanden hat.

Zu Lemonia taraxaci s.l.: L. taraxaci wurde aus der Wienergegend im Osten Österreichs beschrieben. In der Arbeit von Prozorov et al. (2022a) wurden 3 Barcodes dieser Art zugeordnet. Sie stammen alle drei aus den Südwestalpen (keine 100 km entfernt voneinander). In Bezug auf die Abgrenzung zur neu beschriebenen Lemonia italiana sind das sicher sehr wertvolle Barcoding-Tiere - aber woher wissen die Autoren denn, dass diese zur von 800 km entfernten L. taraxaci gehören sollen und jene aus nur 600 km Entfernung nicht ? Aber gibt es wirklich so wenige Barcodes zu L. strigata ? Bei der Besprechung der Lemonia sibirica (S. 343) wird klar, dass man einen bewusst unterschlagen hat: "A population from Romania (Bold:ADF0319) is the nearest neighbor of L. sibirica (Bold:AAu1316) at a 1.76 % distance, this data should be checked and compared with L. taraxaci as well as with L. strigata." Und warum hat man hier nicht mit den Barcodes von L. taraxaci aus den Südwestalpen verglichen ? Es kann eigentlich nur einen Grund geben: Weil das nicht zielführend gewesen wäre (oder anders formuliert: Weil einem sonst das ganze Ergebnis um die Ohren geflogen wäre) (?).

Zu L. italiana: formulieren: "Diagnosis. Lemonia italiana is an Italian and Sicilian species. It has a 2.98 % gap analysis distance from L. taraxaci and 3.30 % from L. sibirica (Fig. 115)." Die Barcoding-Unterschiede sind - auf so große Strecken betrachtet - gering, zumal noch fast nichts über die Variationsbreite innerhalb dieser "Arten" bekannt ist. Man könnte die Unterschiede als Anlass zur Akzeptanz von Unterarten nehmen (die dann aber noch besser abzugrenzen wären) und meinetwegen auch als Suchauftrag nach kryptischen Arten - doch zu Letzterem liefern die Autorenauch gleich das Ergebnis: "Externally and morphologically variable, no reliable characters were found to distinguish it from closely related species." Nach dem integrativ-taxonomischen Ansatz ist das Ergebnis klar: keine getrennten Arten! Was für Lemonia strigata aus den gleichen Gründen auch gilt.

Punkt ! Aus ! Für Prozorov et al. (2022a: 356-357) ist das nicht das Ende, sondern der Anfang der Diskussion: "Like Šumpich and Jagelka (2021) with Lemonia batavorum Šumpich & Jagelka, 2021, we faced the question of whether encountered genetic distance of the L. taraxaci populations is on a specific or subspecific level. The lack of stable morphologic differences between the populations suggests a subspecific status, while the genetic distance (COI sequences) between the taxa exceeds clearly the specific threshold of 2 %. The genetic distances between Lemonia taraxaci, L. strigata and L. italiana are close to 3 % while L. sibirica is separated from L. taraxaci by a distance of 2.18 % (Figs 115). The intra- and interspecific distances in COI and morphologic variability within the genus Lemonia are yet to be studied in more detail." Schön, aber warum kommt dann der zweite Schritt vor dem ersten ? Warum werden erst neue Arten beschrieben und andere zur "bona species" erklärt, bevor es dazu eine ausreichende Grundlage gibt ?

Und weiter: "Šumpich and Jagelka (2021) showed that the genetic distance between Lemonia balcanica (Herrich-Schäffer, 1844), from the Balkans, and the Crimean Lemonia ballioni (Christoph, 1888) ranges from 0.67 to 0.87%, but the intraspecific distance within the population of L. balcanica from the Balkans is up to 1.04 %. Both species differ very well morphologically and do not occur sympatrically." Das gibt zu denken ? Hier sollte geprüft werden, ob man die morphologischen Unterschiede überinterpretiert hat. Kreuzungsversuche und die Heranziehung von Kern-DNA könnten weiterhelfen. Aber vom Ansatz her dürfen das getrennte Arten sein.

Und noch weiter: "The levantine population of Lemonia philopalus (Donzel, 1842) has a 4.71 % distance from the Moroccan population and 5.47 % from the Spanish one but there are no stable morphologic differences between the three whatsoever (Prozorov et al., in prep.)." Nach dem taxonomisch-integrativen Ansatz ein klarer Fall für Subspecies ... Doch wie sich zeigen sollte, sollte auch dort die Gier nach Neubeschreibungen siegen.

Und dann kommt es: "Both cases show that in the genus Lemonia the modern integrative approach (Wheeler et al., 2004; Dayrat, 2005; De Salle et al., 2005; Zamani et al., 2022) is not straightforward." Nicht zielführend ? Doch ! Ziel dieses Ansatzes war es, das Ausufern neuer Artbeschreibungen auf der Grundlage rein genetischer Daten und ohne dazu passenden morphologischen Ansatz zu verhindern. Genau das hätte hier passieren müssen ! Das Ergebnis: eine zentraleuropäische Lemonia taraxaci mit genetisch abgrenzbaren Gruppen in Italien, Südosteuropa, der Levante, Sibirien; Lemonia philopalus mit genetisch abgrenzbaren Gruppen in Nordwestafrika, Spanien und der Levante und eine weit verbreitete Lemonia dumi mit einer bisher nicht klar erkennbar genetisch abgrenzbaren Randgruppe. Wo liegt das Problem ?

Die Autoren erläutern: "In the case of the Lemonia taraxaci populations, we decided that there is enough geographic isolation (Fig. 114) and genetic distance (Fig. 115) to treat them as separate species without morphologic differences." Sie werfen den so hilfreichen "modern integrative approach" also ganz bewusst über Bord, weil er in ihren Augen nicht zielführend war, denn Ziel war es ganz offensichtlich, neue Artnamen zu kreieren. Einer der 13 Autoren war bisher dafür bekannt, dass er genau diesen "modern integrative approach" propagierte - dass er hier mitgemacht hat, verwundert mich. Ich ahne, dass es da hinter den Kulissen heftige Diskussionen gab, die aber leider zu keinem guten Ziel führten. In der methodisch noch schlimmeren Arbeit von Prozorov et al. (2022b) war jener Autor dann nicht mehr dabei.

Das Ergebnis der weiteren Lemonia-Studien der federführenden Autoren zeichnet sich schon jetzt ab: rungsi wird nach Vergleich mit philopalus zur Art aufgewertet werden, Lemonia montana wird zur "bona species" und die derzeit als strigata laufenden Tiere bekommen einen neuen Artnamen, auch die Tiere der Kykladen bekommen noch einen neuen Artnamen (Lemonia deucalion), die Tiere aus Polen ebenso ... Mich graust vor der weiteren Entwicklung nach diesem Dammbruch !

Aus pragmatischen Gründen schieben wir im Lepiforum die Tiere jetzt in die Schubladen, die die Autoren aufgemacht haben - hoffend, dass der Spuk bald ein Ende hat. Ansonsten warte ich mal noch zwei / drei Jahre, dann mache ich mich notfalls selbst an die Synonymisierung. Die Begründungen dafür habe ich ja schon beisammen ...

(Autor: Erwin Rennwald)

3.2. Typenmaterial

Prozorov et al. (2022a: 343) schreiben zum Holotypus: "Type material: Holotype ♂, Italy, Calabria centr., Sila grd., Casali del Manco, San Nicola Silano (CS), 39.29586° N, 16.52569° E, 1550 m, 2.Ix.2012, leg. A. hausmann, slide Lemon-7 (ZSM)." Die insgesamt 138 Paratypen (133♂, 5♀) stammen ebenfalls alle aus Italien, und zwar aus den Provinzen Emilia-Romagna, Tuscany, Marches, Umbria, Lazio, Abruzzo, Apulia, Basilicata, Calabria und Sicilia.

(Autor: Erwin Rennwald)

3.3. Literatur