Zusammenfassung der bis 2. Juni 2022 vorliegenden Erkenntnisse zu Depressaria beckmanni
Am Beginn der Vorbereitung zum MLE-Band „Depressariinae“, im Jahr 2010, war unklar was sich hinter dem Taxon Depressaria beckmanni Heinemann, 1870, verbirgt.
Da kein Typusbeleg mehr existiert, blieb nur, sich in erster Linie auf Heinemanns Originalbeschreibung dieses Taxons zu stützen, in zweiter Linie auf die im Bereich der Typenlokalität, Bad Gastein, nachgewiesenen Arten aus dieser Artengruppe. Das engte die Suche bereits erheblich ein, es ging (fast) nur mehr um die Frage, ob Heinemanns D. beckmanni einfach nur konspezifisch mit D. douglasella ist, oder ob sie zwar konspezifisch aber eine vom Durchschnitt abweichende Form von D. douglasella ist oder doch eine eigenständige Art. Da in Hannemann, 1953 und ebenso in Hannemann, 1995 die männlichen Genitalien von D. douglasella unter dem Namen D. beckmanni abgebildet werden erschien Konspezifität der beiden Taxa als die wahrscheinlichste Variante.
Nachfolgend nur die wichtigsten Details, die zur Einschätzung geführt haben, dass D. beckmanni eine eigenständige Art ist, sowie der aktuelle Stand des Wissens.
Nimmt man die männlichen Genitalien der Depressaria douglasella - Artengruppe in Europa und ordnet sie den gut bekannten Arten dieser Gruppe (Depressaria pulcherrimella Stainton, 1849; D. sordidatella Tengström; 1848; D. floridella Mann, 1864; D. douglasella Stainton; 1849; D. incognitella Hannemann, 1990; D. nemolella Svensson, 1982; D. cinderella Corley, 2002; D. infernella Corley & Buchner, 2019) zu, bleibt eine Genitalvariante übrig. So war es naheliegend, nach Indizien zu suchen, ob es sich dabei um D. beckmanni handeln könnte.
Jedenfalls sprach nichts dagegen, denn Funde im Umfeld der Typenlokalität Bad Gastein liegen vor, und Falter, die diese Genitalvariante aufweisen, entsprechen recht gut Heinemanns Beschreibung der D. beckmanni, nämlich ähnlich D. douglasella, aber tendenziell größer und etwas kräftiger gefärbt (aufgrund der Variabilität der Arten freilich ein Argument mit bescheidener Belastbarkeit). Entscheidend war jedoch der folgende Punkt: Falter, die diese Genitalvariante zeigen unterscheiden sich in der Biologie klar von allen anderen Arten dieser Gruppe: Nahrungspflanze ist bei allen gezüchteten Tieren ausschließlich die Große Bibernelle (Pimpinella major), und kein von Pimpinella major gezüchtetes Tier gehört zu einer der oben genannten weiteren Arten.
Außerordentlich wertvoll waren in dem Zusammenhang die zahlreichen von Peter Sonderegger von Schweizer Fundorten gezüchteten Falter, jetzt im NMBE (Naturmuseum Bern). Hervorgehoben werden müssen die Zuchten von Daucus carota und von Pimpinella major. Stichproben von beiden Gruppen wurden genitalisiert, bei den je 5 Männchen entsprachen die Genitalien der an Daucus gezüchteten Tiere genau den Genitalien von D. douglasella, und alle von Pimpinella major gezüchteten Tiere wiesen die andere Variante auf.
Depressaria beckmanni ist durch die männlichen Genitalien und ihre Biologie ausgezeichnet und wird ab jetzt als gute Art betrachtet, ist aber D. douglasella nächst verwandt, und eine verlässliche Bestimmung aller Individuen ist nicht möglich, denn sie ist im Barcode und anhand der weiblichen Genitalien nicht von D. douglasella unterscheidbar.
Als gesichert kann gelten, dass Depressaria beckmanni im Alpenraum weit verbreitet ist, mit Schwerpunkt in mittleren Höhenlagen (800 - 1500 m). Auch spricht alles dafür, dass D. beckmanni nicht als Falter überwintert. Klar ist auch, dass viele Angaben in der Literatur zu Vorkommen außerhalb Mitteleuropas falsch sind und sich - basierend auf der falschen Zuordnung der männlichen Genitalien in Hannemann 1953 und 1995 - tatsächlich auf D. douglasella beziehen. Viele weitere Details bedürfen noch der Klärung, v.a. die Gesamtverbreitung. Bisher liegen dazu Belege aus Litauen und Albanien vor. Ob auch außerhalb des Alpenraumes eine strenge Bindung an Pimpinella major gegeben ist muss offen bleiben. Auch ohne die Irreleitung durch Hannemanns Genitalabbildungen gibt es bei D. beckmanni und anderen Arten dieser Artengruppe Fehlbestimmungen und Fehleinschätzungen, so waren z.B. alle Falter dieser Art im NMBE ursprünglich unter D. pulcherrimella eingereiht, die einzige D. pulcherrimella aus der Schweiz aber unter D. weirella, jetzt gültig als D. sordidatella.
(Text: Peter Buchner, eingefügt am 2. Juni 2022. Die älteren Texte in den Kapiteln "Biologie" und "Weitere Informationen" werden vorerst nicht verändert, auch wenn sie im Widerspruch zu den neuen Befunden stehen. Eine Anpassung dieser Bereiche, die einen weitreichenden Umbau mehrerer Seiten erforderlich macht, folgt zu einem späteren Zeitpunkt)
2. Diagnose
Ein bis zum 17. Januar 2016 hier gezeigtes Foto wurde nach Bestimmungskorrektur auf die Seite von Depressaria douglasella verschoben [Forumsbeitrag Harri Jalava, 17. Januar 2016]; D. beckmanni kommt danach in Finnland nicht vor.
2.1. Genitalien
2.1.1. Männchen
2.2. Erstbeschreibung
3. Biologie (Siehe auch Einleitung!)
3.1. Nahrung der Raupe
- [Apiaceae:] Pimpinella saxifraga ?? (Kleine Bibernelle ??)
- [Apiaceae:] Pimpinella major [= Pimpinella magna] (Große Bibernelle)
Thomann (1956: 430) meldete aus dem schweizerischen Nationalpark (von Scuol im Unterengadin, Kanton Graubünden): "beckmanni Hein. Ein etwas blasses Stück von Schuls aus der Raupe erhalten. Diese an den grundständigen Blättern von Pimpinella magna." - Man mag der Bestimmung dieses Falters glauben oder auch nicht.
Burmann berichtete aus Tirol: "Depressaria beckmanni Heinemann: N: Innsbruck e. l. 28.6.1963 und 6.1961 (det. Hannemann, Gen.Präp. Nr. 4551). Die Raupen fand ich an einer Pimpinella sp., wahrscheinlich saxifraga L.
S: Nur 1 Fund von Bad Ratzes 1911 (leg. Zerny, det. Rebel) bekannt.
Neu für Nordtirol!
(Von der benachbarten Schweiz sind in meiner Sammlung einige Tiere e.l. Landquart 3.-6.6.1925, 23.6.1917 und 16.7.1919 (leg. Thomann). Leider ohne nähere Angabe über die Futterpflanze der Raupen."
Hannemanns Genitalbestimmung lässt hier leider alle Fragen offen (siehe "Taxonomie").
4. Weitere Informationen (Siehe auch Einleitung!)
4.1. Etymologie (Namenserklärung)
Heinemann (1870: 180) teilt mit: „Von Herrn Beckmann, einem hiesigen Coleopterologen, bei Gastein im Juli gefangen.“
4.2. Taxonomie
Was ist "Depressaria beckmanni" - wir müssen wohl feststellen: Wir wissen es nicht!
Peter Buchner schreibt in seinem [Forumsbeitrag vom 12. Februar 2016]: "Eine Bemerkung zur D. beckmanni: Der Typus ist verloren, und nach die Originalbeschreibung trifft auf viele Tiere aus dieser Gruppe zu, am ehesten bleibt noch die herausgestrichene Größe als Alleinstellungsmerkmal übrig ....... Als ich anfing, in Museen die Depressarien zu studieren, habe ich mich ehrfürchtig gewundert, dass diese Tiere ohne Zucht und ohne Gu den Taxa douglasella, pulcherrimella, sordidatella, beckmanni ... zugeordnet werden konnten. Bis ich bemerkt habe, dass aus dieser Gruppe auch Belege unter Depressaria chaerophylli und anderen weit entfernten Verwandten steckten, bald also wunderte mich gar nichts mehr. D. beckmanni ist, jedenfalls basierend auf den Museumsbestimmungen, zum Sammelbecken unbestimmbarer Depressaria douglasella-Gruppe s.str. mutiert."
Und noch ein [Forumsbeitrag von Peter Buchner, 30. Oktober 2017] zu Depressaria douglasella erlangt Bedeutung: "so nebenbei: Hannemann bildet diese Genitalien unter "Depressaria beckmanni" ab. Keine Ahnung, wie er darauf gekommen ist. Einen beckmanni-Typus gibt es allen Recherchen nach nicht mehr, und kein Mensch hat wohl deren Genitalien je gesehen."
4.3. Faunistik
D. beckmanni wurde aus Bad Gastein (Österreich, Bundesland Salzburg) in den Hohen Tauern beschrieben. Da nicht klar ist, was genau unter diesem Namen zu verstehen ist und es kein Typusexemplar zur Art mehr gibt, sind alle anderen faunistischen Meldungen unter diesem Namen mit größter Vorsicht zu genießen (siehe "Taxonomie"), zumal die bei Hannemann (1995) unter diesem Namen abgebildeten Genitalien zu D. douglasella gehören.
Alle folgenden Meldungen betreffen also die Interpretation der Art durch die jeweiligen Autoren, die nicht zwangsläufig mit der Artabgrenzung durch Heinemann übereinstimmen muss. Insofern sind die Angaben für die Schweiz und für Deutschland insgesamt allesamt fraglich, die für Österreich fast ebenso.
Huemer (2013) akzeptiert die Art für Österreich - ohne Kommentar - für fast alle Bundesländer (außer Wien und Burgenland).
SwissLepTeam (2010) meldet die Art für die Schweiz für die Einheiten Graubünden und Nordalpen, vermerkt aber: "Die Artunterschiede zwischen D. beckmanni und D. douglasella sind uns unklar."
Gaedike et al. (2017) listen die Art für Deutschland aktuell (nach 2000) für Rheinland-Pfalz, Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt, mit älteren Angaben auch für Hessen und Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. Ihr einziger, von R. Gaedike verfasster Kommentar (S. 139) lautet: "Erstfunde für HE und RP siehe Biesenbaum (2011b)." Bei Biesenbaum (2011: 95) gelistet sind "Dörscheid 09.-19.08.2010 1 Biesenbaum", "Lorch (Nollig) 12.09.1964 1 Groß LMD" und "Loreley 22.06.1943 1 Stamm LMD". "LMD" steht dabei für "Landessammlung rheinisch-westfälischer Lepidopteren, Düsseldorf (D)", d.h., es gibt überprüfbare Belege; interessanterweise wird D. douglasella in dieser Liste nicht für das Mittelrheingebiet genannt, und zur Methodik der Bestimmung wird an dieser Stelle auch nichts mitgeteilt.
Die neuere Meldung aus Bayern findet sich bei Segerer et al. (2013: 66) wo es heißt: "Depressaria beckmanni Heinemann, 1870 – RL 0 (SL, OG, TS: –; AVA: 0) - Wiederfund für Bayern (Abb.1)! Die mit Abstand seltenste und am wenigsten bekannte Angehörige der schwierigen Artengruppe um D. douglasella Stainton, 1849, entwickelt sich vermutlich an Pimpinella (Apiaceae) (Burmann 1984). Sie ist in historischer Zeit im Alpenvorland nachgewiesen worden (Osthelder 1951: 172), dort aber seit Jahrzehnten verschollen. In Deutschland ansonsten sehr disjunkt und in jüngerer Zeit nur aus den neuen Bundesländern bekannt (Hannemann 1995: 107, Gaedike & Heinicke 1999), in Österreich weiter verbreitet (Huemer 2013: 68). Ein überraschender Neufund aus dem Hinteren Bayerischen Wald. OG: Lkr. Freyung-Grafenau, Schnellenzipf b. Haidmühle, LF 6.8.2009, BC ZSM Lep 70880, GU 13/11-AHS-LI (L). Neu für das Ostbayerische Grundgebirge."
(Autor: Erwin Rennwald)
4.4. Literatur
- Biesenbaum, W. (2011): Kleinschmetterlinge des Mittelrheingebietes (Microlepidoptera). Ein Beitrag zur Biodiversität des UNESCO-Weltkulturerbes „Oberes Mittelrheintal“ (mit einer einleitenden Gebietsbeschreibung von Axel Schmidt). — Melanargia, 23 (2): 69-154. [PDF auf ag-rh-w-lepidopterologen.de]
- Gaedike, R., Nuss, M., Steiner, A. & R. Trusch (2017): Verzeichnis der Schmetterlinge Deutschlands (Lepidoptera). 2. überarbeitete Auflage. — Entomologische Nachrichten und Berichte (Dresden), Beiheft 21: 1-362.
- Erstbeschreibung: Heinemann, H. (1870): Die Schmetterlinge Deutschlands und der Schweiz. Zweite Abtheilung. Kleinschmetterlinge. Band II. Die Motten und Federmotten: 1-825 Braunschweig (C. A. Schwetschke und Sohn).
- Huemer, P. (2013): Die Schmetterlinge Österreichs (Lepidoptera). Systematische und faunistische Checkliste. – 304 S. (Studiohefte 12); Innsbruck (Tiroler Landesmuseen-Betriebsgesellschaft m.b.H.).
- Nel, J. (2002): Sur la biologie de quelques Lépidoptères dans le midi de la France (Lepidoptera). — Bulletin de la Société entomologique de France 107 (3): 275-279. [PDF auf persee.fr]
- Segerer, A.H., Haslberger, A., Grünewald, T., Lichtmannecker, P. & R. Heindel (2013): Bemerkenswerte Schmetterlingsfunde aus Bayern im Rahmen laufender Projekte zur genetischen Re-Identifikation heimischer Tierarten (BFB, GBOL) – Bemerkenswerte Schmetterlingsfunde aus Bayern im Rahmen laufender Projekte zur genetischen Re-Identifikation heimischer Tierarten (BFB, GBOL) – 4. Beitrag (Insecta: Lepidoptera). — Nachrichtenblatt der bayerischen Entomologen, 62 (3/4): 63–82. [PDF auf zobodat.at]
- SwissLepTeam (2010): Die Schmetterlinge (Lepidoptera) der Schweiz: Eine kommentierte, systematisch-faunistische Liste. — Fauna Helvetica 25. Neuchâtel (CSCF & SEG).
- Thomann, H. (1956): Die Psychiden und Mikrolepidopteren des Schweizerischen Nationalparkes und der angrenzenden Gebiete. - S. 380-446. In: Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen des schweizerischen Nationalparks [Herausgegeben von der Kommission der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft zur wissenschaftlichen Erforschung des Nationalparks; Resultats des recherches scientifiques entreprises au Parc National suisse Publiés par la commission de la Société Helvétique des Sciences Naturelles pour les études scientifipues au Parc National]. Band V (Neue Folge). 35. [PDF auf parcs.ch/snp]