2. Weitere Informationen
2.1. Taxonomie und Faunistik
Dass es in Europa nur eine - und damit unverwechselbare Calamia-Art gibt, war bisher klar. Ronkay et al. (2024: 137) erklären nun: "The genus Calamia is represented by three closely related species, C. rubrociliata (Schawerda, 1931), C. tridens (Hufnagel, 1966) and C. immaculata (Staudinger,1871); the first two taxa are distinguished in the European literature by Ronkay et al. (2024). The third taxon, C. immaculata was described from Hungary, it occurs eastwards from the Vienna Basin. The three European species are illustrated in Plate 80, Figs 1-13."
Mit "Ronkay et al. (2024)" war hier Ronkay et al. in Landry (ed.) (2024) gemeint: "The Plante Noctuidae collection. Part 3. All subfamilies except Noctuinae and Hadeninae.". Davon kenne ich bisher nur die zwei zusammenfassenden Seiten: "Sommaire taxonomique et nomenclatural. Taxonomic and nomenclatural summary."
Staudinger (1871: 99) hatte zu "Luperina virens" notiert: "1383. Virens [...] a. v. (et ab.) Immaculata; Virens Hb. 235; var. A. Gn. l. c. (al. absque macul. albis)." und als Fundregionen: "Hung; Ross. m; Arm; Alt.", also Ungarn, das mittlere Russland, Armenien und Altai. Dann war es Warnecke (1941: 99 ff.), der sich sehr intensiv mit dieser var. immaculata auseinandersetzte: "1871 hat Staudinger in der 2. Auflage seines großen Kataloges die var. (et ab.) immaculata abgetrennt. Diagnose: Alae absque maculis albis. Auffällig ist nun die Verbreitung der Nominatform und der Immaculata. Schon 1871 trennt Staudinger beide Formen nach ihrem geographischen Vorkommen. Er führt virens auf von Mitteleuropa (außer England), Südschweden, Piémont, Livland, Finnland, immaculata von Ungarn, Südrußland, Armenien, Altai. Diese Trennung ist auch in der 3. Auflage des Kataloges (1901) durchgeführt, trotz erheblicher Ergänzungen. Für virens werden noch folgende Gebiete aufgeführt: Nordwestrußland, Südostfrankreich, Aragonien, Norditalien, für immaculata: südl. Taurus, Tarbagatai, Hyrcanien, Issyk-kul. Die Durchsicht neuerer Faunenverzeichnisse bestätigt diese geographische Scheidung im Wesentlichen. Im Einzelnen liegt die Grenze noch nicht fest, da manche Autoren nicht scharf genug trennen, auch scheinen in manchen (oder allen?) Grenzgebieten die beiden Formen gemischt vorzukommen, so in Böhmen, Mähren, Oberdonau. Weiter östlich wird aber ausnahmslos nur immaculata aufgeführt, so aus , Bosnien, Siebenbürgen, Bulgarien und aus Asien." Doch nun hat Warnecke Interessantes zu berichten: "Die Prüfung einer Anzahl immaculata aus Sivas im östlichen Kleinasien, welche Herr B. Zukowsky, Hamburg, gesammelt hat, hat nun den Anstoß gegeben, die Frage der artlichen Zusammengehörigkeit dieser beiden geographisch so auffallend getrennten Formen eingehend zu prüfen. Herr Zukowsky hatte die Sivas-Falter schon immer als etwas Besonderes angesehen und wies mich außer auf die mehr bläulichgrüne Färbung auf den abweichenden Flügelschnitt, von dem unten noch die Rede sein wird, hin. Da zunächst weitere äußere Unterschiede nicht festgestellt werden konnten, wurden durch Herrn Albers, Hamburg, einige Präparate der ♂-Genitalarmatur angefertigt, nachdem ich mir von der Firma Dr. 0. Staudinger & A. Bang-Haas in Dresden, noch einige mit den Sivas-Faltern in Färbung und Flügelform übereinstimmende- Stücke aus Russisch-Armenien hatte verschaffen können. Untersucht wurden 1 virens aus Mitteldeutschland, je 1 immaculata aus Ungarn, Karagaitau und Juldus, 2 immaculata von Sivas, 1 immaculata aus Russisch-Armenien. Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist eindeutig und überraschend. Die Genitalarmatur der vorderasiatischen Stücke ist, wenn auch gering abweichend von derjenigen von virens und aller anderen untersuchten immaculata-Stücke. Ich verweise auf die beiden Zeichnungen (Nr. 1, Präp. 464, virens und Nr. 2, Präp. 463, „immaculata" aus Sivas). Die wesentlichen Unterschiede liegen in der Form und der Art der Bedornung des Aedoeagus. [...]". Warnecke trennte die kleinasiatischen Tiere daher als "Luperina staudingeri [jetzt Calamia staudingeri] ab.
Aber es blieben ja noch viele immaculata übrig. Zu diesen formulierte Warnecke (1942: 104): "Die echte virens immaculata Stgr. liegt mir vor von Ungarn, Bosnien und verschiedenen Orten in Zentralasien, nämlich Karagaitau, Juldus, Issyk-Kul. Nachträglich habe ich virens immaculata auch noch von folgenden Fundorten prüfen können: Wien, Szeged in Ungarn, Ili, Dscharkent, Thianschan, Kuldscha." Fest steht: sehr groß können die Genitalunterschiede zwischen C. tridens und der durch Ronkay et al. (2024) abgetrennten C. immaculata nicht sein, sonst hätte sie Warnecke auch schon gefunden. Ronkay et al. (2024) gebenan, dass C. immaculata aus Ungarn beschrieben wurde - ob sie in der Staudinger-Sammlung einen entsprechenden Lectotypus festgelegt und den auch publiziert haben, ist mir noch nicht klar.
Ich fürchte, dass hier alles auf minimalen Genitalunterschieden aufgebaut wurde und die Genetik keinerlei Rolle spielte. Ich halte die Artberechtigung hier zwar für möglich, aber auf der momentanen Datenbasis doch einmal erst für fraglich.
(Autor: Erwin Rennwald)
2.2. Literatur
- Landry, B. (ed.) (2023): The Plante Noctuidae collection. Part 3. All subfamilies except Noctuinae and Hadeninae. Sommaire taxonomique et nomenclatural. Taxonomic and nomenclatural summary. - p. 15-16. [PDF auf heterocera.net]
- Ronkay, G., Ronkay, L. & Z. Varga (2024): Magyarország Nagylepkéi. Macrolepidoptera of Hungary. Third, revised edition. - Fibigeriana Supplement. Book series of Taxonomy and Faunistics. Volume 4. 318 pp; Budapest (Heterocera Press).
- Erstbeschreibung: Schawerda, K. (1931): Aragonensia. — Mitteilungen der Münchner Entomologischen Gesellschaft, 21: 52-57. [PDF auf zobodat.at]
- Erstbeschreibung: Staudinger, O. & M. Wocke (1871): Catalog der Lepidopteren des europäischen Faunengebiets. 1-426. Dresden (O. Staudinger). [Digitalisat auf biodiversitylibrary.org]
- Erstbeschreibung: Warnecke, G. (1941): Über Calamia (Luceria) virens L. (Lep. Noct.) und ihre „Form" immaculata Stgr. Anhang: Die systematische Stellung der Calamia pyxina O. Bang-Haas. — Zeitschrift des Wiener Entomologen-Vereines 26: 99-104. [PDF auf zobodat.at]